Tools for Change — Gemeinschaftssinn im digitalen Zeitalter
Der Aufstieg der digitalen Tech-Industrie wird seit Beginn von Bottom-up-Bewegungen begleitet. Dass der gegenkulturelle Geist von Open Source und kreativer Programmierung trotz der Dominanz grosser, auf Gewinnmaximierung zielender Technologiekonzerne weiter existiert, zeigt eine Schau im HEK.
Basel — Oxytocin ist der biochemische Stoff, aus dem die zwischenmenschliche Liebe ist. Er wird beim Stillen ausgeschüttet, er macht Menschen – auch Männer – feinfühliger und sanfter und löst das Bedürfnis nach Kuscheln aus. Man stelle sich vor, Wladimir Putin würde davon eine Überdosis abbekommen und – von zärtlichen Gefühlen für die gesamte Welt übermannt – seine Soldaten in den Ruhestand schicken. Oder Israelis und Palästinenser würden, endlich, zu einem friedvollen Miteinander finden. Die Idee, mittels Oxytocin für die Welt ein neues, besseres Zeitalter einzuläuten, stammt von der Künstlerin und Biohackerin Heather Dewey-Hagborg. In Zusammenarbeit mit einem Biotechnologieunternehmen entwickelt sie ein massgeschneidertes Retrovirus, das die Produktion von Oxytocin im Menschen erhöht. Die entsprechenden Glasampullen sind im HEK schön beleuchtet in einer Vitrine präsentiert. Ob sie auch tatsächlich das Virus enthalten und ob das Projekt mehr ist als eine Gedankenspielerei, bleibt offen. An der Wand hängen Bilder von Zellkulturen, Rot und Violett dominieren, und aus einem Lautsprecher erklingt sanfte Musik. Worum sich das geheimnisvolle Arrangement dreht, entnehmen wir erst dem Saalzettel. Das ist bloss ein kleiner Makel, denn der vermittelte Gedanke ist eine Bereicherung und macht Sinn. Er ist Teil einer Ausstellung in einer Institution, in der – anders als in den Kunsthallen und grossen Museen – nicht marktträchtige Kunstpositionen portiert, sondern Ideen zur Disposition gestellt werden für die Auseinandersetzung mit der heutigen, von Digitalität geprägten Zeit.
‹Tools for Change›, die aktuelle, von der US-amerikanischen Gastkuratorin Julia Kaganskiy eingerichtete Ausstellung, ist ein dichter Ideenspeicher. Wer ihm mit Neugierde und Entdeckerlust begegnet und sich für einzelne Arbeiten etwas Zeit nimmt, wird auf seine Kosten kommen: Die Schau ist ein Aufsteller. Denn es wird gezeigt, wie Künstler:innen Werkzeuge für ideelle Zwecke entwickeln. Immer wieder ist von «Togetherness» die Rede, vom Gemeinschaftssinn. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl an Visionen, die Hoffnung machen. Am mitreissendsten ist die Videoprojektion ‹Hands Performance› von Rashaad Newsome. Der dunkelhäutige Protagonist vermengt seinen eleganten Tanz mit Gesten der Gebärdensprache. Dank dem technoiden Setting verströmt er trotz seiner Gehörlosigkeit das Selbstbewusstsein eines jungen Königs.