Jan Czerwinski
Eine bestimmte Art von Auffassung
Wer das bisherige Œuvre von Jan Czerwinski kennt wird von den neuen Gemälden überrascht sein. Hatten steile Felswände, rostige Gitterstrukturen, monumentale Tierschädel oder Flechten den Zugang in die Bildtiefe abrupt gestoppt, so öffnet sich jetzt der Raum: Die aktuellen Gemälde zeigen ausgedehnte Landschaften. Plötzlich atmen Czerwinskis Bilder Weite!
Augenzwinkernd nennt der Künstler das Programmbild der Ausstellung Bauernmalerei. Im Vordergrund hat er Äcker gemalt. Ein Patchwork an Feldern in Magenta, Weiss, Braun und differenzierten Gelb- und Grüntönen. Der im Hintergrund aufsteigende Hügelzug triggert das Auge. Ebenso die mächtigen am Himmel dräuenden Wolkenpakete. Der Künstler hat die streng monochrom gemalten Farbfelder mit realistisch anmutenden Landschaftselementen kombiniert. Das Sujet ist nicht vor Ort gemalt. Es wurde im Atelier konstruiert. Als Vorlagen dienten unzählige Skizzen, die Jan Czerwinski während seiner Streifzüge in ländliche Bezirke festgehalten hat. Obwohl die Landschaft täuschend echt wirkt: sie existiert so nicht in der realen Wirklichkeit.
Tatsächlich geht es dem Künstler nicht um das Abschildern eines möglichst reinen Landstichs oder um das Einfangen einer erlebten Stimmung, wie es die Maler*innen noch im letzten Jahrhundert vielfach beschäftigte. Jan Czerwinskis Intention zielt in eine andere Richtung. Es gehe ihm, meint der Künstler im Gespräch, um eine bestimmte Auffassung. Zwar sind die Motive von der sichtbaren Realität inspiriert, doch fügt ihnen Jan Czerwinski kulturelle Dimensionen hinzu. Um seiner Auslegung Ausdruck zu geben, sind die Kompositionen auf präzise Weise orchestriert. Wie ein Dirigent interpretiert er Flächen und Farben. Er spielt mit unterschiedlichen Perspektiven, klappt Areale in die Bildfläche oder hebt mit Licht bestimmte Partien in den Fokus. Er vermischt diverse Stile, lässt monochrome Farbfeldmalerei auf Pflanzenmuster treffen. Er wählt bewusst Verfahren, die ihre Wurzeln in verschiedenen Zeitdimensionen haben. Durch die Verschmelzung der Bildkonzepte, entstehen ungewohnte Übergänge von der Figuration zur Abstraktion, von der Abbildung zur Konstruktion, von natürlichen zu künstlichen Partien, von homogen zu heterogenen Räumen.
Was Jan Czerwinski mit Hilfe von Farbe oder Zeichenstift auf Leinwand oder Papier vor Augen führt ist jedoch keine blosse Idylle in der alles aufgeräumt und in Ordnung ist. Die Malerei ist vielmehr Ausdruck einer Fülle an Fragestellungen, die den Künstler umtreiben: Wie natürlich und unversehrt, beziehungsweise wie künstlich sind unsere Landschaften? Flüsse werden begradigt. Ebenen entstehen für den grossflächige Anbauen von Nahrungsmitteln. Kulturpflanzen werden durch Züchtung und Verschneidung stetig optimiert. Die Ernten werden durch exzessiven Einsatz von künstlichen Düngemitteln immer weiter gesteigert. Wie verändern solche Entwicklungen unser Leben? Wie lassen sich diese oft langsam und stillschweigend ablaufenden Prozesse erkennen und darstellen?
Am Beispiel seiner Landschaftsbilder bringt Jan Czerwinski seine Erfahrungen zur Anschauung. Die Kombination der verschiedenen Stile und Formen zu hybriden Gebilden verweisen unter anderem auf die komplexen Vorgänge in der Gestaltung unserer Landschaft und sie sensibilisieren für die vielfach verborgenen Strukturen, die unsere Lebensweise prägen. Dem Publikum bieten die Bilder die Möglichkeit sich der kontinuierlich wandelnden Realität modellhaft zu nähern und sich in sie einzuüben.
Kathrin Frauenfelder
Dr. phil., Kunsthistorikerin
Zürich, im Januar 2022
Artist(s)
Details | Name | Portrait |
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Jan Czerwinski |
Articles
Title | Type | Issue | Images | Details |
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Jan Czerwinski — Landschaft orchestrieren | Besprechung | Kunstbulletin 3/2022 |
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Institutions
Title | Country | City | Details |
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