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Eternia

Enteronia

Die Popkultur zerfliesst zu Schleim. Ihre Grenzen sind weich geworden. Wenn sie denn jemals fest waren. Pop als Kultur der Massen wuchert und quillt in das, was man früher "ernste Kultur" zu nennen pflegte, Hochkultur als Hort der Eliten quillt und wuchert in das, was einmal "Unterhaltung" hiess. Ernst? Unterhaltung? Eine fiktive Trennung, sicherlich. Aber eine wirksame.

In André Willimanns Werk hat die Popkultur seit jeher einen festen Platz. Ihre Ikonen bevölkern seine Gemälde, von Schneewittchen über Michael Jackson bis hin zu Madame Medusa. Natürlich in Öl. Damit steht Willimann fest auf dem Treibsand postmoderner High-Low-Suspensionen. In der Ausstellung Eternia hingegen ist der gleichnamige Planet aus dem trashigen Masters-of-the-Universe-Franchise nurmehr eine Referenz im Titel. Einzig das pathetische Wort erinnert an die popmythologischen Abenteuer der Actionfiguren aus den 1980er Jahren. Waren in Willimanns früheren Arbeiten Masters-of-the-Universe-Protagonisten wie He-Man und Skeletor noch figurativ vertreten, so zeigen seine neuen Ölgemälde statt dessen arkane Schleimgrotten, abjektes Gekröse, biomorphe Gebilde, vereinzelt auch Kristallformen, die in scharfem Kontrast zum weichen Organischen stehen und es dergestalt akzentuieren.

Die Kluft zwischen den im Titel konnotierten Figuren aus Masters of the Universe und den ins Abstrakte oder Surreale entgleitenden neuen Gemälden könnte kaum grösser sein. Als Maler, der in seiner Kunst immer auch Kunstgeschichte betreibt, wirft Willimann damit ein Schlaglicht auf einen oft übersehenen Aspekt der Pop Art im Speziellen und der Popkultur im Allgemeinen. Mitnichten lassen sich die westlichen Wegbereiter der Pop Art auf einen neuen Realismus reduzieren, der sich nicht nur die Gegenstände, sondern mehr noch die Produktions- und Kommunikationsmethoden der kapitalistischen Gegenwart aneignete. Die Pop Art war immer schon abstrakter und surrealistischer, als ihre frühen Gegner, etwa aus den Reihen des Abstrakten Expressionismus, annahmen.

Wenn man so will, sind Popkultur und Pop Art real existierender Surrealismus und real existierende Abstraktion. Sie sind nur insofern realistisch, als sie eine in sich selbst abstrakte und surreale Welt repräsentieren. Als symbolische Form liberaler Überflussgesellschaften des 21. Jahrhunderts zeugt Pop mit seinen Traumfabriken vom Begehren nach "abs-trahere": Nach dem Sich-abziehen, Sich-abtrennen, Sich-entfernen von der vorgefundenen, naturgegebenen Realität. Mehr noch, viele Vertreter der Pop Art standen selbst dann noch mit einem Bein in der avantgardistischen Abstraktion, wenn sie mit industriellem Gestus Motive der Konsumkultur und des Entertainmentsektors malten. Roy Lichtenstein etwa fertigte parallel zu seinen berühmt gewordenen Comic-Bildern weiterhin abstrakte Gemälde an – nur kennt sie kaum jemand. Durchgesetzt hat sich die kulturelle Aneignung des Plakativen. Pop goes Eternia

Wenn Willimann "Eternia" sagt und Ephemera zeigt; wenn die scharf konturierten Helden und Schurken aus Masters of the Universe einer Ästhetik des Weichen, Zerlaufenden, Schmelzenden, Zerfliessenden oder Wuchernden weichen, so könnte man dahinter einen Kommentar zum aktuellen Popgeschehen vermuten. Genau in dem Moment, da die Masters of the Universe mit einer neuen Zeichentrickserie auf Netflix sowie der Wiederveröffentlichung der ursprünglichen Serie auf Blu-Ray ein Revival erleben, und auch sonst die Körper diverser Superhelden allgegenwärtig sind, löst sich Willimann von der Repräsentation konkreter Popfiguren. Er wird zum Antizykliker. Und während sich in der Medienöffentlichkeit alle Blicke auf äusserlich erkennbare Identitätsmerkmale richten – Alter, Hautfarbe, Geschlecht –, wendet Willimann den Blick ins Unheimliche eines identitätsunspezifischen Inneren. Seine Gemälde werden die meisten Betrachter wohl mit dem Körperinneren assoziieren, während die Popkultur typischerweise künstlich geschaffene Oberflächen, mithin das hergestellte Äussere, in den Vordergrund rückt. So ist es, als ginge man in dieser Ausstellung durch das monumentale Totenkopfportal von Castle Grayskull hindurch und dränge in die sich selbst verdauenden Eingeweide der Popkultur vor – von Eternia nach Enteronia.

Prof. Dr. Jörg Scheller, ist Kunstwissenschaftler, Journalist und Musiker. Er lehrt an der Zürcher Hochschule der Künste.

 

Infos

Veranstaltungstyp
Ausstellung
Datum
-
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Künstler:innen

Details Name Portrait
André Willimann

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Titel Land Ort Details
sam scherrer contemporary
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Zürich
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