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Will Benedict – «All This Shit»

Genf – Das Schaffen von Will Benedict (*1978), das zurzeit in den noch von der Biennale des images en mouvement 2021 übrig gebliebenen Projektionskabinen und den sie verbindenden Gängen im Centre d’art contemporain Genève/CACG retrospektiert ist, erscheint auf den ersten Blick ungeheuerlich und grobschlächtig. Das Monströse entpuppt sich jedoch nur als Motiv. Wie es Benedict in Videos und klassischen Bildvierrecken wie Gemälden und Zeichnungen, Fotografien, Collagen und Druckgrafik durcharbeitet, verweist auf einen Humanismus, den man schon fast obsolet geglaubt hat. 

Benedict ist gerade kein einmal mehr das Low im High zelebrierender Appropriation Artist, obschon in seinem Werk die Frage zentral ist, welcher Begehrlichkeiten sich die von ultrareaktionären Kleptokraten nicht zuletzt zur Negation der Grenzen des Wachstums aufgebauten Mediengruppen bedienen, um die Leute süchtig nach dem Bildschirm zu machen und nach den darauf vorbeiflimmernden Suggestionen einzukaufen, sich zu vergnügen, in die Ferien zu fahren und last but not least zu wählen. Der in Los Angeles aufgewachsene und zur Kunst gekommene (Art Center Collage Pasadena, 1999–2004), jedoch auch in Europa (Städelschule Frankfurt am Main, 2004–2006) ausgebildete Künstler komponiert seine Werke vornehmlich aus dem Gedächtnis, wenn auch teils in experimenteller Interaktion mit den gleichen Artificial Intelligence und Virtual Reality-Apps. Er lebt darüber hinaus im malerischen Paris in einer gewissen Distanz zur ökonomischen, sozialen und kulturellen Situation in seinem mächtigen Heimatland, die ihn beunruhigt und zum Arbeiten antreibt. 

 

Apokalyptischer Countdown 

Wie gefährlich der Kontext geworden ist, ruft das vielleicht unerträglichste Werk der ganzen Schau gleich zu Beginn in das Bewusstsein. Mutterseelenallein hängt im ersten der vier grossen um einen Gang disponierten Kabinen auf der unteren der beiden Hauptausstellungsflächen des CACG im 2. Stock im Bâtiment d’art contemporain ein Hufeisenkrebs, dessen Schwanz sich wie das Pendel einer Uhr, von einem Tickgeräusch begleitet, hin und her bewegt. Das in vier Unterarten über die Welt verteilten Meerestier ist eines der ältesten nach wie vor in unveränderter Form existierender Lebewesen ist. Vor bereits gut 100 Millionen Jahren entstanden, hat es zwar das erste massenhafte Artenaussterben vor 65 Millionen Jahren überlebt. Aber selbst seine Gattung ist heute gefährdet, da sie in Asien als Delikatesse gilt und weiter auch gefangen oder mit hoher Mortalitätsrate bewirtet wird, um ihr kupferhaltigen Blut für Tests zur Feststellung von Derivaten von Mikroben nach Sterilisierungen zu nutzen.

 

Ein Video ist ein Video ist ein Video

Leider geht die Ausstellung dann szenografisch vorderhand nicht mehr auf diesem kühnen Niveau weiter. Gezeigt werden in den restlichen drei Kabinen auf dem 2. Stock hier insgesamt sechs Videos, die Benedict nicht nur innerhalb unterschiedlicher Produktions-, sondern auch Rezeptionsbedingungen realisiert oder ko-realisiert hat. Dem wird jedoch bei ihrer Aufführung nur bedingt Rechnung getragen. Alle Werke finden sich so aufgeblasen und vervielfacht projiziert, dass sie in den Kabinen eine oder zwei Wände in ihrer ganzen Länge und Breite abdecken. Durch die Variation dieser Disposition wird zwar das Material typologisiert, aber auch eine visuelle Konfusion erzeugt. Und die benutzte Technik zeitigt zu allem hin noch eine gewisse Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit, unter der die Verständlichkeit von Wort und Klang leiden, obschon sie bei diesen Videos ebenso zählen, wenn nicht sogar die Achse darstellen.

 

Music Clips, ein Kurzfilm und subversives Fernsehen

Bei demjenigen Video, das doppelt auf einer Wand zu sehen ist, handelt es sich sogar um einen Music Clip, den Benedict zusammen mit dem deutschen ähnlich wie er selbst im Spannungsfeld zwischen Film und Malerei aufgestellten Künstler Malte Zander (*1991) im Auftrag der amerikanischen non binär auftretenden Elektromusikerin, Konzeptkünstlerin und Religionsführerin Chris(topher) Korda (*1962) zu deren Song ‹Apologize to the Future›geschaffen hat und frei auch auf YouTube abgerufen werden kann. Wie in einer Umkehrung des endlosen Downscrolling auf dieser und anderen Internetplattformen treiben darin die provokativen Weiss auf Schwarz auf Kleber, Batches und T-Shirts gedruckten Kredos der von Korda gegründeten Church of Euthanasia wie «EAT PEOPLE NOT ANIMALS» oder «SAVE THE PLANET / KILL YOURSELF» nach oben und zwar zwischen Abfällen vom halbverzehrten McDonalds-Mahlzeit bis zum ausrangierten Sony-Fernseher, nicht ohne dass Korda auf diesem wie auch etwa auch da auf einer Compact Disc, dort auf einem Journal als Sängerin eingeblendet erscheint. Die Lyrics von ‹Apologize to the Future› prangern den Stand der Dinge derweil eher analytisch als provokativ an. Und trotz der Dunkelheit, die in ihnen eröffnet wird, erfährt man sie wie eine Wohltat. Korda bringt ökonomische, soziale und kulturelle mit geologischen und biologischen Ebenen in einen Bezug, enthüllt den Kapitalismus als eine nicht Nachhaltigkeit schaffende, jenseits von Wissenschaft agierende Religion, die eine Rückbesinnung auf die radikalsten der asketischen Bewegungen des Mittelalters gegen die just damals den Kapitalismus erfindende Kirche geschöpfte Antireligion erfordert. So ist der Antinatalismus von Korda, der im Übrigen zurzeit auch monografisch im circuit in Lausanne ausgestellt ist, nichts Neues! 

Die anderen fünf Videos entstanden dagegen in Zusammenarbeit mit der Noise Rock-Gruppe Wolf Eyes. Doppelt an zwei Wänden über Eck gezeigt findet sich der Kurzfilm ‹Degrees of Disgust›, 2019, der eine Uber Food-Herstellerin und Zulieferin (das Fotomodell Lily McMenamy) in Szene setzt, die bei ihren Kunden als Domina auf einem Cruiser vorfährt. Ihre von vertiefter Bildung zeugende Inner Voice kritisiert indes zugleich den postfordischen Kapitalismus, der durch sein Gewicht auf Erlebnis und Verführung und seine Nutzung von Private Assets zu Sklaverei und Patriarchat zurückführt. So hält die Frau ihren Pay Job für «probably indefendable». 

Verdreifacht als 45 Minuten langer Loop werden dagegen vier Videos aufgeführt, die teils auch mit Montagen die Talk Shows und die News Feeds im Fernsehen ad absurdum führen, um effektiver von Ungerechtigkeit zwischen dem Norden und Süden, Westen und Osten in Bezug auf Nahrung, Sicherheit, Freiheit, Bildung und Wohlstand wie auch einmal mehr den ökologischen Problemen sprechen zu können. Unter diesen Werken befindet sich auch die Kampagne für Balenciaga im Jahr 2020, die den Künstler, wie es Andy Warhol künftig allen prophezeite, «world-famous for 15 minutes» machte.

 

«To Get Out the Best Picture of All This Shit»

Es bleibt ein Problem der bildenden Kunst, dass diese, wie relevant sie auch immer ist, abgesehen von solchen subversiven Einlagen in der Werbung oder auf Produkten, wie sie heute jedoch korporative Creative Directors bewusst fördern, eher ein Tausender- denn ein Millionenpublikum erreicht. Trotzdem testet Benedict die mediale und politische Lage weiter auch in klassischen Medien. Und letztlich ist mit ihnen vielleicht stets eher eine Ewigkeit zu erlangen als mit Videos, die von A bis Z von Technik abhängig sind, die teuer ist, Energie frisst und so schnell altert wie sich als überholt erweist. 

Jedenfalls leidet die Gemälde-, Zeichnungs-, Foto- und Druckgrafikretrospektive im 3. Stock des CACG nicht unter solchen Problemen. Originell hat Benedict hier die ersten drei Kabinen, mit einer gleich aufgebauten Accrochage gefüllt, die jedoch stets wieder mit anderen Beispielen aus identischen Werkserien der letzten gut 15 Jahren genährt ist. Seine intensive Recherche, wie er mit dem visuellen Universum unserer Zeit an die Kunstgeschichte andocken und sie fortschreiben kann – oder in seinen Worten «to get out the best picture of all this shit» – wird durch diese wiederholte Diachronie äusserst deutlich. Da sind nicht nur unterschiedliche Bildmedien, -gesten, -materialien, -formate und -dimensionen, sondern auch ungewöhnliche Bildfeldansätze und Rahmenlösungen. Die letzteren seien von einem Gemälde von Max Ernst inspiriert, das er als sehr junger Mann noch ohne Mobile in der Tasche gesehen habe, er aber seither nie wieder – oder so, wie es in seiner Erinnerung weiterlebt – angetroffen habe. 

 

Projektionsflächen für das Publikum

Die Bilder, bei denen oft nicht klar ist, ob das Zentrum oder der Rand die Hauptsache ist, ja oft teleskopisch ineinander verstrickt sind, wenn sich nicht ein figuratives Bildfeld gar nur marginal in einem abstrakten Bildfeld oder umgekehrt findet, eröffnen hierdurch stets auch den Betrachtern und Betrachterinnen viel Projektionsfläche. Nicht selten öffnet Benedict seine Gemälde und anderen Bildvierecke auch explizit der Interaktion mit diesen, oder versucht es zumindest. So wartet in jeder der drei Kabinen auf dem 3. Stock des CACG ein postkartenartiges Gemälde, das zugleich die Form der amerikanischen Flagge und damit ein enormes Thema der Malerei dieses Staatenbundes aufgreift, stets auf die Widmung für den Sammler oder die Sammlerin wartet, der oder die es zu besitzen wünscht. Jeweils just nebenan hängt jedoch ein hälftig aufgeteiltes Billboard, das auf der einen Seite orangene Innereien in orangenem Licht zeigt (die Farbe von Donald Trump und seiner Anhänger, die sich wie Gift auch in anderen Bildern seit 2016 wiederfindet) und auf der anderen Seite einmal über eine blanke Fläche verfügte. Diese wurde nämlich im Park in Osteuropa, in dem diese Billboards ausgehängt worden waren, von den Passanten und Passantinnen effektiv wie erhofft in Beschlag genommen mit ihren Schreibgeräten, darunter der genialen in deutscher Übersetzung etwa «Ich finde empörend, wie hier Lebern (statt Frauen, Dunkle, Arme…) dargestellt sind» lautenden Spruch. Niemals hätte er diesen erfinden können, meint Benedict, gehe aber genau in die Richtung der Lücke, die er stets suche. 

In vielen Bildern habe er indes seinen eigenen Geschmack bewusst herausgefordert, etwas hervorzubringen versucht, was er als schwierig empfinde oder in ihm etwas Beklemmung hervorrufe: «Das ist jedoch oft das, was ich genau liebe – wie viele Leute. Ich denke, dass dies tatsächlich ein gemeiner Ansatz der Interpretatio von Bildern ist.»

 

Individueller und kollektiver Tod

Das Finale der Ausstellung mit der aktuellen Produktion von mit AR- und VR-Applikationen ko-generierter Kunst ist von Todesbildern umrahmt. So trifft man nach der Retrospektive in den drei Kabinen auf dem 3. Stock des CACG noch auf ein letztes Werk im Gang, in dem sich oben fast wie auf einem Sarg ein fensterartiges Feld befindet, durch das man auf die mit raschen Pinselzügen skizzierte Büste des aufgebahrten Vaters des Künstlers mit geschlossenen Lidern im eingefallenen Gesicht blickt, zu dem er trotz dessen frühen Verlust ein ambivalentes Verhältnis hat: «Ich nehme diese Erfahrung natürlich ernst, aber nicht allzu sehr. Er war eine katholische Person, wisst ihr.» Der letzte Teil des Ganges auf dem dritten Stock findet sich dagegen mit Postern ausgeschlagen, die das Ende des Lebens gerade nicht durch die umfassenden Rituale des Katholizismus «gezähmt», sondern «verwildert» mit einer wüsten Leiche aus einem Horrorfilm unter dem lakonischen Satz «DON’T LET THIS HAPPEN TO YOU!» zeigt, um die beiden Untertitel der berühmten, allerdings auch wegen dem nostalgischen Grundton kritisierten ‹Geschichte des Todes› von Philippe Ariès aus den frühen 1980er Jahren aufzugreifen. Die Frage, wie wir mit dem eigenen wie auch dem Tod der anderen umgehen, stellt sich heute angesichts der Unfähigkeit unserer Gesellschaft, nicht weiter nur schon wegen des CO2 Ausstosses auf eine Mauer zuzurasen, indes mehr denn je.

 

«The Real Cultural Shit»

Pessimistisch zwischen diese Todesbilder gefügt sind die Gemälde, Zeichnungen und Videos aus jüngster Zeit, bei denen Benedict seine Einfälle mit dem Ausstoss von AI oder VR-Apps angereichert hat. Auf dem restlichen Gang auf dem 3. Stock des CACG finden sich Zeitschriftencovers, bei denen er solche eine angefangene Skizze auffüllen und vollenden liess, nicht ohne gewisse der Resultate auch noch abzumalen. Und zwar in einer faszinierenden Gegenüberstellung von einerseits schneller und andererseits sorgfältiger Ausführung, was unvermittelt andere kunstgeschichtliche Epochen wiederaufleben lässt. Und in einer letzten Kabine findet sich endlich das der Ausstellung titelgebende Werk, bei der es sich um die englische Übersetzung ‹Dialogue of the Dogs›von Miguel de Cervantes (1547–1616) Geschichte ‹El coloquio de los perros› handelt, die von zwei neben ihrem sterbenden Meister auf die Korruption der Gesellschaft blickenden Hunde handelt. Sowohl die um Verspeisen, Verdauung und Ausscheiden kreisenden Dialoge als auch die Bilder sind in diesem abgefahrenen, aber teils auch wieder bizarr normalen Video ausgehend von wenigen Schlagworten wie «Dialog, Hunde, Essen, Tod…» maschinell hervorgeholt und zusammengesetzt worden. 

Viel von AI oder VR verspricht sich Benedict nicht – schon gar nicht für die Kunst, wie es etwa der Lehrstuhl für Museologie der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne/EPFL in der Ausstellung ‹Deep Fake» kürzlich perspektivierte. Eher glaubt Benedict, dass alle diese Apps nur «the real cultural shit» zu rekreieren vermögen. Wie spannend der regelmässig an der Ecole cantonale d’art de Lausanne/ECAL unterrichtende Künstler auch als Lehrer ist, kann morgen, den 15. Dezember 2023 während einer Präsentation von Studierendenarbeiten zwischen geselligen und kulinarischen Angeboten sowie einer Benefizauktion im CACG erlebt werden. Die Ausstellung selbst ist noch bis am 18. Dezember sehen. 

Institutionen

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Centre d'Art Contemporain Genève
Schweiz
Genève
Circuit, centre d’art contemporain
Schweiz
Lausanne

Künstler:innen

Ausstellungen / Events

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Will Benedict — Dialogue of the Dogs - Ausstellung Genève Schweiz
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Ausstellung
Genève
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