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Der wahre Weltuntergang ist der stabile Zustand

Die Antwort sehen wir vor uns, aber wie lautet die Frage? 
Welche Versuchsanordnung hat dieses Ergebnis? Wie lautet die Prämisse, die bedingt, dass in Wachs getauchte Flusssteine an Mohairfäden befestigt werden? Bilder haben in Kirchenräumen oft einen repräsentativen, symbolhaften Charakter. Man sieht eine Taube – aber sie steht für den heiligen Geist; man sieht eine Lilie – aber sie steht für Reinheit; man sieht einen Stein – aber er steht für die Welt, für das Irdische, für das, was uns erdet oder beschwert. Was aber, wenn der Stein für sich selbst steht? Wenn er weder ein Symbol für den Gemütszustand der Erde ist, noch ein Bild für das individuelle persönliche Empfinden? 

Das genaue Hinschauen ist der Beginn des Sehens. In der Mitte des Kirchraums stehend, blicken wir auf die gesamte Wandfläche an der Stirnseite. Zwei Stufen führen auf ein Podest, auf dem sonst manchmal die Kanzel steht. Nun ist der Raum eine Erweiterung der Wand. Steine liegen da, einzeln - oder aufgetürmt, durch Fäden mit der Wand verbunden. Die Installation kippt zwischen Wandzeichnung und Skulptur, ragt in den Raum hinein und bleibt doch nah an der Wand. 

Über die gesamte Breite der Fläche fächert sich das Fadengeflecht auf. Dazwischen scheinen vereinzelt Steine zu schweben. Es ist kaum möglich die Schatten und Fäden auseinanderzuhalten, die Berührung des Lichts löst die Tiefenschärfe auf. Das Licht wird so zu einem bedeutenden Teil dieser Installation, verändert den ganzen Charakter der Arbeit und lässt die farbigen Steinbrocken aus der Limmat kaleidoskopartig leuchten.

Bettina Diel lässt sich in ihren Arbeiten immer wieder von Werkstoffen leiten. Sie interessiert sich für die Logik und Beschaffenheit der Materialien, die sie in oft überraschender Weise zusammenbringt. Sie experimentiert und erprobt vieles und ist damit in ihrer alltäglichen Beschäftigung nah am Vorgehen einer Forscherin, die mit Tests und Versuchsanordnungen arbeitet. 

So wie in der Installation in der Johanneskirche spielen auch Chemie oder Physik oft eine bestimmende Rolle in ihren Arbeiten. So hat Diel schon Zündschnüre auf Papier befestigt und deren Schmorchspuren als Zeichnung festgehalten, oder prekäre Skulpturen aus Stoff und Gummibändern mittels Zugkraft an Wänden befestigt. 
«Der wahre Weltuntergang ist der stabile Zustand» erzählt von Steinen unterschiedlicher Herkunft, die durch Bewegungen in der Limmat geformt wurden und Mohairfäden, bei denen sich die Wollfasern aneinander verhaken. Die Installation erzählt von Wachs, das durch Erhitzen flüssig wird und beim Abkühlen wieder erhärtet. Das Werk erzählt von elektromagnetischen Wellen, von Licht, Schall und Schwerkraft. Die Arbeit beschreibt ein Gleichgewicht eines Miteinanders und erzählt von sich selbst. 

Das Werk von Bettina Diel ist die dritte Installation einer neuen Reihe, in der Künstler:innen angefragt werden, für einen jeweils längeren Zeitraum die Johanneskirche mit zeitgenössischer Kunst zu bespielen. Verschiedene Gottesdienste, Vespern und Veranstaltungen laden ein, das Werk «Der wahre Weltuntergang ist der stabile Zustand» immer wieder neu zu entdecken. 

Im Rahmen der Ausstellung findet am 10.11.2022 ein Workshop zu Stimm-Improvisation statt. Er ist offen für alle neugierigen und singfreudigen Menschen. Ohne Anmeldung.

Zur Finissage am 13.1.2023 findet um 19 Uhr eine Performance mit Stimm-Improvisation statt. Anschliessend ein Apero und Musik von Tobias Willi.

                                                                       

Rebecka Domig

Infos

Event Type
Exhibition
Date
-
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Artist(s)

Details Name Portrait
Bettina Diel

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Title Country City Details
Johanneskirche
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Zürich
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