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Stefan Vogel hat den White Cube in eine Brachlandschaft verwandelt. Betonplatten ebnen den Weg durch zehn Kubikmeter Gartenerde, die im Ausstellungsraum aufgeschüttet sind. Jede Platte ist das Ergebnis eines vor Ort aus der frischen Erde geformten Abgusses, darin eingeschlossen und konserviert Fotografien – Abbilder persönlicher Erinnerungen. An den Wänden: Papier- und Materialarbeiten mit Fragmenten von Schreibmaschinentexten, aus Fäden gelegten, sich überlagernden Linien und Gitternetzen, teilweise unter Paraffin und hinter Glas. Spuren und Hinterlassenschaften von Aktivität kennzeichnen die Szenerie als das Relikt eines einst kultivierten Zustandes mit Reminiszenzen an kleinbürgerliche Identitäten. Ein Vokabular und Repertoire an Sinnbildern wird offenbart, die kennzeichnend für Stefan Vogels künstlerisches Verfahren sind: Konservierung, Abformung, Einprägung, Verinnerlichung, Transformation und Erinnerung.

Die Erinnerung präsentiert in der griechischen Mythologie Mnemosyne, die Tochter der Gaia (Erde) und des Uranos (Himmel). Sie ist die Mutter der neun Musen, den Schutzgöttinnen der Wissenschaften und Künste. Mit dem Begriff der Erinnerung und des Gedächtnisses verbinden sich demnach nicht nur Abläufe des Entsinnens und Erhaltens, sondern auch Erkenntnis, Erfindung und Schöpferpotential. Vor dem Hintergrund einer modernen Trennung zwischen Ratio und Kreativität werden komplexe Assoziationen, die sich mit Erinnerungsprozessen verbinden, allzu oft vereinfacht. Man könnte auch von einem Verblassen der Erinnerung an die Erinnerung sprechen, denn »was blieb, das bleibt, das blasst nur«, so der Text von Stefan Vogel auf der Einladungskarte zu seiner ersten Einzelpräsentation bei Jahn und Jahn.

Das verstrickte Verhältnis von Objektivität und Subjektivität, gar ein ganzes System von sich wiederholenden Verhaltensmustern, Denkstrukturen und zwischenmenschlichen Beziehungen manifestiert sich bei Stefan Vogel in einer Art Landkarte aus Topografien und Beziehungsgeflechten. Alles nimmt aufeinander Bezug, alles ist nachvollziehbar im wörtlichsten Wortsinn: man muss nur den Linien folgen. So bildet die utopisch-ironische Triade im Eingangsbereich aus drei fotografischen Arbeiten, die den leicht unverschämt weisenden Zeigefinger des Künstlers, einen rechten Winkel und eine Raumecke zeigen, eine Art Gleichnis seiner Weltsicht.

Stefan Vogels Materialbilder und die von ihm verwendeten Ausdrucksmittel sind berührend direkt und ursprünglich. Nichts ist veredelt, dem Künstler liegt nichts an einer Überhöhung. Polaroids, Schreibmaschinentexte, Erde, Blasenpflaster, Bettlaken, Arbeitsspuren, ein Sprung im Glas – kaum etwas könnte ehrlicher und wahrhaftiger sein. Nichts könnte uns am Ende jedoch mehr verunsichern als die Erfahrung, dass der Bruch mit Wissen und Sicherheit sowie unser eigenes Scheitern den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen. Vielleicht entfalten auch deshalb Stefan Vogels Kartographien die Anziehungskraft von Sehnsuchtsorten, denn die Vorstellung von der Zeit-Versiegelung ist märchenhaft, aber auch einfach zu schön, um wahr zu sein.

Text von Anka Ziefer

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Event Type
Exhibition
Date
-
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Artist(s)

Details Name Portrait
Stefan Vogel

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Title Country City Details
Galerie Jahn und Jahn
Germany
München
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