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Die Eidgenössische Kunstkommission freut sich sehr, dass dieses Jahr Anton Bruhin, Pipilotti Rist, Catherine Quéloz und das Architektenkollektiv pool mit dem Schweizer Grand Prix Kunst geehrt werden. Es ist die höchste Auszeichnung, mit welcher der Bund Persönlichkeiten würdigt, die in den Bereichen Kunst und Architektur Herausragendes geleistet, oder sich in einer dieser Disziplinen durch vertiefte Auseinandersetzung und Vermittlung verdient gemacht haben. Neben der neu eingeführten Bezeichnung «Schweizer Grand Prix Kunst» steht nach wie vor «Prix Meret Oppenheim», der ursprüngliche Titel des 2001 ins Leben gerufenen Preises, der stolz den Namen einer unabhängigen, eigenständigen Künstlerin trägt, die mit ihren frischen, poetischen Werken die Kunst nachfolgender Generationen geprägt hat; einer Persönlichkeit auch, die künstlerisch neue Wege beschritt, sich über jegliche Stilgrenzen hinwegsetzte, und deren Laufbahn von Umbrüchen und Neuanfängen, Schaffens-krisen und Höhenflügen bestimmt war. Der Name des Preises ist denn auch Programm - er möchte Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Haltungen und Lebensläufen in den Fokus rücken: Visionäre und Pioniere natürlich, aber auch stille Schaffer, obsessive Perfektionisten, quere Figuren, wilde Denker sowie Artists' artists, von deren Werk und dessen langfristiger Relevanz die Eidgenössische Kunstkommission überzeugt ist.
Wenn die Gruppe der vier diesjährigen Auserwählten also alles andere als homogen ist, so ist dies durchaus beabsichtigt. Denn viel mehr als ein «Best of» zu präsentieren, soll der Prix Meret Oppenheim die Vielfalt der Schweizer Kunst- und Architekturszene widerspiegeln.

Anton Bruhins Werk galt lange Zeit als Geheimtipp, vielleicht auch deshalb, weil es durch seinen Facettenreichtum nicht einfach zu fassen ist und sich der Künstler auch nie modischen Strömungen angepasst hat. In Bruhins faszinierendem Universum steht bildende Kunst gleichberechtigt neben Dichtung und Musik. Obwohl - oder gerade weil - er die verschiedenen Disziplinen jedoch nie mischt, erreicht er in jeder einzelnen eine seltene Tiefe, sei es mit seinen Palindromen, seiner experimentellen Musik und seiner Leidenschaft für die Maultrommel, seiner Kenntnis der Schweizer Volksmusikszene, die er in unzähligen Zeichnungen festgehalten hat, oder in seiner Malerei, die strikte «en plein air» und immer auf direkteste Weise nach der Natur entsteht. Wenn Bruhin von seinen Bildern als Wärme- und Wonnespeicher spricht und sagt, er wolle am Kunstwerk erlebbare Glücksgefühle produzieren, so scheinen er und die sonst sehr gegensätzliche, künstlerische Position von Pipilotti Rist für einen kurzen Augenblick zusammenzurücken.

Die zeitgenössische Videopionierin Pipilotti Rist hat mit ihren Arbeiten voller frechem Charme und rebellischer Liebens­würdigkeit diesem zuvor eher als konzeptuell-trocken geltenden Medium Leben und Poesie eingehaucht. Als leidenschaftlicher Technikfreak, der ganz bewusst von unserer allgemeinen Fernsehbildung ausgeht, hat sie sich Hard- und Software angeeignet, um moderne Märchen zu erzählen, und die Kunst perfektioniert, Maschinen so zu manipulieren, dass sie optische Störungen und Dissonanzen produzieren - «eine Art Liebeserklärung an unsere Fehler», wie Pipilotti sagt. Entstanden ist dabei eine unverwechselbare Bildsprache - Tom Kummer bezeichnet sie als «masslos positiv, schamlos bunt und bedenkenlos glücklich» -, mit der sie nicht nur Kunstgeschichte geschrieben, sondern auch unseren visuellen Alltag nachhaltig geprägt hat.

Mit Catherine Quéloz wird eine weitere Frau für ihre Pionierleistung geehrt. Sie war es, die 1987 an der damaligen Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Genf den ersten Kuratoren-Lehrgang ins Leben gerufen hat, lange bevor es in der Schweiz auch nur ansatzweise Vergleichbares gab. Ihre unkonventionellen Unterrichtsmethoden, die Theorie und Praxis zu verbinden wissen - wie beispielsweise im Ausstellungsraum Sous-Sol, der an den Ausbildungsgang gekoppelt war -, haben Generationen von Künstlerinnen und Künstlern, Kuratorinnen und Kuratoren massgeblich beeinflusst. Sie hat eine wichtige Plattform für die kritische Reflexion über das Format «Ausstellung» geschaffen und damit ein Feld zur Auseinandersetzung mit den vielfältigen Formen zeitgenössischer Kunstpraxis eröffnet. Dabei spielt der diskursive Austausch und das kollektive Moment immer eine grosse Rolle, wie anhand der gewählten Textform des für diese Publikation entstandenen Interviews deutlich wird.

pool, ein Architektenkollektiv aus acht Partnern, das in den 1990er-Jahren aus einer Diskussionsplattform junger Architekten entstand, betrachtet Vielstimmigkeit ebenfalls als Voraus­setzung seines Schaffens. Auch hier ist der Name Programm: «pool ist ein Gefäss, in dem vieles und Unterschiedliches Platz haben muss.» Ob sie Wohnungen, Schulen oder Sportanlagen konzipieren oder städtebauliche Fragen untersuchen - die Arbeit dieser Architekten ist von unkonventionellen Vorgehens­weisen und prozesshaftem Denken bestimmt, wie auch von der Idee, ihre Architektur im Diskurs zu schärfen, um überdurch­schnittliche Bauten von gesellschaftlicher Relevanz zu produzieren. Da pool ursprünglich als Gegenmodell zum Autorenbüro entstanden ist, erstaunt es nicht, wenn einer der Partner im Interview sagt, pool funktioniere ein bisschen wie die Schweiz, «mit viel Misstrauen gegenüber Exzellenz». Der Schweizer Grand Prix Kunst zeichnet zwar nichts anderes als Exzellenz aus - allerdings eine, die dem unabhängigen, frischen Geist von Meret Oppenheim alle Ehre macht.

Nadia Schneider Willen
Präsidentin der Eidgenössischen Kunstkommission

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