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Kunstschaffen im Jetzt — Drei Fragen an Sabian Baumann

Kunstbulletin: Welche Fragen hast Du am Anfang dieses neuen Jahres an die Kunst – an die Kunst allgemein und an Deine eigene?
Sabian Baumann: Die Frage, was  Kunst zu erfüllen hat, stelle ich mir nicht neu je nach Weltlage, aber die Welt oder Teile davon spiegeln sich in den Werken vieler Künstler:innen. Das sehe ich als Konstante: Kunst als Reflexion. Meiner Meinung nach funktioniert Kunst – egal in welchem Medium, egal mit welchem Ansatz – vor allem auf einer symbolischen Ebene, selbst dann, wenn Kunst aktivistisch ist oder ins Soziale eingreift. Abgesehen davon kann auch die symbolische Ebene eine reale Veränderung im Sozialen bewirken. Das kann Kunst heute und immer beitragen: Fragen stellen, einen zensurfreien Raum für Reflexion bieten, der Szenarien aufzeigt, die in der Welt so nicht vorkommen. Kunst kann den Möglichkeitsraum weiten und fehlende Perspektiven einbeziehen, um Teile von sich oder der Welt darin zu finden und ein Gefühl für diese Teile zu bekommen, vielleicht auch, um Antworten zu finden oder irgendwie zu heilen.

Kunstbulletin: Was sind in Deinen Augen die grossen Herausforderungen für die Kunst beziehungsweise für Deine Kunst in den kommenden Monaten oder Jahren?
Baumann: Es ist manchmal schwierig, nicht zynisch zu werden in Anbetracht der dystopischen Weltlage. Kunst kann die Welt jedenfalls nicht alleine retten, da müssen schon alle mitmachen. Profitdenken, Kriege und Hass sind das Destruktivste. Da Kunst grösstenteils von wenigen finanzstarken Geldgeber:innen abhängt, fände ich es wichtig, dass Institutionen und Kulturschaffende sich auch mit der Herkunft des Geldes respektive der Kunst auseinandersetzen.
Grundsätzlich verstehe ich Kunst als eine positive Kraft, die versucht, mit dem, was im Selbst oder in der Welt passiert, umzugehen und im weitesten Sinne Negatives positiv zu wenden. Egal ob das durch Gesellschaftskritik, Humor, Transgression (also Tabubruch), emotionales oder physisches Berühren oder kathartische Prozesse geschieht und egal ob durch alte oder neue Medien – das interessiert mich an Kunst zu jeder Zeit.
Meine Kunst ist so konzipiert, dass potenziell jeder Inhalt in sie einfliessen kann. Wir und die Welt sind in einem ständigen Prozess und mit allem verbunden. Wissen, Nahrung, Viren und vieles mehr gehen durch uns hindurch, insofern finden auch aktuelle Konflikte einen Niederschlag in meiner Arbeit und in jener vieler Künstler:innen. Bei mir funktioniert das so, dass ich in mir selbst schaue, wie das System, die Welt auf mich, mein Befinden und meinen Körper einwirken. Ich bin sozusagen meine eigene Laborratte. Das schlägt sich dann in unterschiedlichen Medien nieder, in den letzten Jahren vermehrt in kollaborativer Praxis mit explizit politischem Inhalt zu Genderfragen mit intersektionaler Perspektive. Jetzt möchte ich aber wieder mehr alleine im Atelier arbeiten – mal schauen, ob mir das gelingt.

Kunstbulletin: Die Kunst ist ein wichtiger Resonanzraum. Gab es im letzten Jahr Momente, Begegnungen, Reaktionen, in denen Du das besonders stark wahrgenommen hast, aus denen Du auch Energie schöpfst fürs Weitermachen?
Baumann: Die Energie fürs Weitermachen schöpfe ich eigentlich nicht aus dem, was gut läuft, sondern aus dem, was schwierig ist. Insofern lässt die Gegenwart sicher nichts zu wünschen übrig, auch wenn es mir persönlich heute viel besser geht als vor dreissig Jahren.
Kunst ist ein weites Feld und so vielfältig, wie die Künstler:innen, die sie kreieren. Das finde ich grundsätzlich schön. Doch jede Zeit hat ihre Probleme. Aktuell stehen Rechtsrutsch, Klimakrise und Krieg im Vordergrund, darauf reagieren viele Künstler:innen. Was mir Freude macht, ist, dass die Perspektiven zeitgenössischer Kunst intersektionaler geworden sind und viele junge Künstler:innen und Kollektive, jedenfalls mehr Kunstschaffende denn je, an politischen Themen arbeiten – eben oft auch mit einer grösseren Sensibilität für die vielfältigen Diskriminierungsformen. Die Klimakrise hat eine Welle von ökologischen und ökofeministischen Positionen hervorgebracht. Selbst die Institutionen haben angefangen, sich um Diversität und Nachhaltigkeit zu bemühen.
Auch Spiritualität und Formen der Heilung sind zurzeit ein Thema in der Kunst. In diesen Praktiken liegt, jenseits von Glaubensrichtungen, ein Potenzial, auch ein politisches. Leider wird Spiritualität jedoch auch vereinnahmt von Verschwörungstheoretiker:innen und der Wellnessindustrie. Ich denke aber, dass Spiritualität so etwas ist wie Muskeln, die stärker werden, je mehr man sie gebraucht. Sie verhilft uns zu innerer Stärke und Glück, während Psychotherapien oft versagen, weil sie erst zur Anwendung kommen, wenn psychisches Leiden schon da ist.
In der Kunst werden die Themen der Zeit so verhandelt, wie ich es mir von Politik und Gesellschaft wünschen würde: im Versuch zu verstehen, mit konkreten Vorschlägen und Visionen, manchmal mit Humor, im Bemühen um Respekt und ohne Gehässigkeit.

à Der Dialog war Teil einer Umfrage bei ausgewählten Schweizer Kunstschaffenden zur Stimmungslage Anfang 2024. Die Rückmeldungen aller beteiligten Künstler:innen sind in Auszügen im Kunstbulletin 1-2/2024 erschienen.

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Sabian Baumann