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Eine einfache und gleichzeitig offene Frage stand am Anfang dieser Ausstellung: Wie kann das Werk von Ana Jotta, 1946 in Lissabon geboren, einem Publikum vorgestellt werden, das dieses Werk kaum oder gar nicht kennt? Mit anderen Worten: Wie kann die radikal vielgestaltige Kunst von Ana Jotta eingeführt und erfahrbar werden durch eine Ausstellung, die letztlich nicht über die nötige Grösse verfügt, um sie in ihrer wirklichen Breite und Vielfalt zu zeigen?

Composição, der Titel der Ausstellung, entstammt einer Arbeit, die hier ausgestellt ist. Er verweist nicht auf das Werk der Künstlerin und versteht sich auch nicht als Kommentar dazu. Viel mehr bezeichnet Composição (Komposition) die Art und Weise, wie diese Ausstellung komponiert und kuratiert ist, welcher Prozess ihr zugrunde liegt und welche Form sie schliesslich annimmt. Für die Wahl der Werke war somit kein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Sichtweise ausschlaggebend, sondern eine sehr einfache Regel: Ein Werk wird ausgewählt und dies bringt eine Folge von Assoziationen mit anderen Werken der Künstlerin in Gang. Damit wird ein breiteres Verständnis von Jottas Arbeit möglich und es öffnen sich Zugänge zu den Feinheiten und Eigenheiten ihrer künstlerischen Praxis und subjektiven Welt. Es ist ein heuristischer Prozess, äusserst intuitiv und auf Mutmassungen aufbauend und agiert ohne Plan oder Kompass.

Das Ziel war es, eine kaleidoskopische Ausstellung zu kuratieren, die die grosse formale Vielfalt von Jottas Schaffen sichtbar macht und zeigt, wie die Künstlerin auf vielseitige Weise unterschiedliche Materialien und Techniken benutzt. Verwirrend wird für viele die völlige Abwesenheit eines erkennbaren Stils sein, wie er normalerweise unterschiedliche Werke (oder mindestens einen Teil davon) verbindet und auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Deswegen ähnelt Composição einer Gruppenausstellung.

In Wirklichkeit hat sich Jottas Kunst nie auf einen bestimmten Stil festgelegt. Bereits in den ersten Jahren ihrer Karriere und im Kontext erster Gruppenausstellungen zeigte sich der vielschichtige Charakter ihres Werks. Seit der Gemäldeserie von 1986, die sie im folgenden Jahr in ihrer ersten Einzelausstellung zeigen sollte, entwickelt sich ihre Arbeit entlang von Serien, wobei jede neue Werkgruppe sich in stilistischer Hinsicht oft stark von der vorhergehenden unterscheidet. Somit entzieht sich ihre Arbeit einer linearen Chronologie und kann deshalb kaum oder gar nicht in bestimmte Abschnitte oder Perioden unterteilt werden. Jottas künstlerischer Werdegang ist geprägt von Abweichungen und Diskontinuitäten, durch die sich die Künstlerin ihren kreativen Spielraum offengehalten hat. Dabei handelt es sich weniger um eine kalkulierte Strategie, als um den Ausdruck einer klaren Grundhaltung: Die Künstlerin mag es nicht, bereits begangene Wege wieder abzuschreiten. Interessanterweise fiel die Auswahl für Composição ausgerechnet auf Arbeiten, die meist keiner Serie oder Gruppe angehören – und von der Künstlerin als ihre Einzelkinder bezeichnet werden.

Trotz dieses Eindrucks eines «atomisierten» Werks bestehen Gemeinsamkeiten: die Sparsamkeit der Gestaltungsmittel, eine hoch verdichtete Ausdrucksweise sowie ein intensives und geistreiches Denken, welche seit vier Jahrzehnten ihr Werk prägen. Das ist ihre Handschrift.

Im Zentrum von Jottas Arbeit steht die Aneignung, das ist ihr Modus Operandi. Die Künstlerin ist eine alles verschlingende «Aneignerin», sie recycliert und verarbeitet die unterschiedlichsten Dinge: Fundstücke (Jotta hat eine Vorliebe für unbedeutende Gegenstände mit einem vergangenen Eigenleben), Bilder aller Art (Werke berühmter Künstler:innen oder bekannter Comic-Autor:innen, Illustrationen aus Malbüchern für Kinder, volkstümliche Bilder und vieles mehr), dazu kommen Texte aus unterschiedlichsten Quellen (wie Zitate aus einem Lehrbuch für Französisch, der Name einer populären Publikationsreihe, der Titel eines Films oder eines Buches oder ein Text, den sie auf der Strasse gefunden hat). Dahinter steht jedoch nicht eine Art «ästhetische Gleichgültigkeit», wie sie Marcel Duchamp mit dem Readymade in Verbindung gebracht hat. Ihre Entscheide beruhen viel mehr auf Identifikation und Zuneigung. Es liesse sich behaupten, dass ihr Werk einer Struktur der Empfindsamkeit Ausdruck gibt, einem Sinn für sehr unterschiedliche Dinge. Dabei interessiert sich die Künstlerin weder dafür, diese Dinge noch ihre ursprüngliche Bedeutung zu kommentieren oder zu reflektieren.

Die von ihr angeeigneten Dinge - zu denen auch Kunstwerke gehören – versteht Jotta als Fragmente des Lebens, als Fragmente ihres Lebens. Deswegen ist Kunst, wie sie sehr treffend sagt, ein Zitat des Lebens. 2002 schreibt sie in einem Brief an einen Kunstkritiker: «Was in einem Werk ist nicht Zitat? Es geht um das Leben, das ist das Rohmaterial, das zuerst verarbeitet und dann zitiert wird. Das Leben braucht keine Arbeit, mit Pflege und etwas Bequemlichkeit ist es getan. Arbeit wird mit Arbeiten getan (es handelt sich um eine hochspezifische Blutgruppe - sie akzeptiert nur ihre eigene). Sie ist Zitat des Lebens, geformt und materialisiert, wie sie durch die Augen in uns eindringt. Deshalb ist Arbeit immer Repräsentation, also Darstellung. Sie kann einfach sein, in einer Werkstatt stattfinden, allein, mit einem Elternteil. Sie tritt durch die Augen ein und verlässt uns durch die Augen – sie ist ein Spiegel der Seele.»

In einem der kurzen Texte, die Jotta seit mehr als fünfzehn Jahren zu ihren Ausstellungen verfasst, sagt sie 2010: «Jetzt wissen wir, ich weiss, nulla è nuovo (nichts ist neu, nichts Neues); ich kann ein Zitat verwenden (auch ein altes...): 'In der Welt gibt es keinen Platz für andere Kreationen. Es gibt nur die Möglichkeit der Reintegration und der Fortsetzung. Alles, was existieren könnte, existiert bereits. Nichts kann erschaffen, sondern nur enthüllt werden.'» (Spinoza in Clarice Lispector)

In einem anderen dieser kurzen Texte sagt sie ein Jahr später, um alle Zweifel aus dem Weg zur räumen: «Ich kann Ihnen versichern, dass ich alles als Einzelne und nicht als kollektive Einheit gemacht habe.» - Miguel Wandschneider

Die Ausstellung ist kuratiert von Miguel Wandschneider

Mit Unterstützung der Calouste Gulbenkian Foundation

12.9. Rundgang durch die Ausstellung 
18:30 Uhr mit Aoife Rosenmeyer

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Kunsthalle Zürich
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