en passant — Tautogramm am Tartarus
Mit Mühe richtet die Rothaarige den rosa Mietroller auf, den jemand auf den Radweg geworfen hat. Das Teil wiegt schwer, kurzes Keuchen, dann ist es gerade gestellt. Aus ihrer Bauchtasche kramt die junge Frau jetzt ein Mobiltelefon hervor, befestigt es auf dem Lenker und schwenkt ihren Zeigefinger wie einen Zauberstab kreuz und quer über den Bildschirm. Das Trottinett piepst drei Mal. Die Kavalleristin steigt auf, dreht den Gashebel. Das Ding macht keinen Wank. Sie wiederholt die Operation. Erneutes Piepsen. Vollgas. Nichts rührt sich. Verzweifelt greift sie sich in die Haare. Sie wiederholt den Prozess ein letztes Mal, dann lehnt sie den Roller sorgfältig gegen das rostige Gitter am Rand des Wegs, löst ihr Telefon vom Lenker und versetzt dem Zaun einen wütenden Tritt. Das Metall zittert, das Trottinett piepst, die Frau stapft davon.
Die Einhegung heisst ‹Kerberos› und ist ein Werk von Katja Schenker, kunstvoll aus handelsüblichen Gittern geformt. Kerberos ist in der antiken Mythologie der dreiköpfige Hund, der den Zugang zum Hades bewacht. Hier in der Industriezone von Winterthur behütet er die Kehrichtverbrennungshölle. Ein ebenso krudes wie stimmiges Bild. Dass die Rothaarige ihre Rage nicht an dem rosa Roller, sondern am Gitter ausgetobt hat, wundert mich seltsamerweise kaum. Liegt es an den Piepsern, mit denen das Pfeilchen unser Mitgefühl manipuliert? Verdient so ein Hadeshund hingegen einfach, dass man ihm die Stiefel in den Hintern hackt? Oder passen die drei schlicht zu zauberhaft zusammen: Zorn, Zaun und Zerberus?
Samuel Herzog, Textbauer, Inselbauer, Schüttsteinschaffer. info@samuelherzog.net