Direkt zum Inhalt
Speziell der markterfolgreiche Künstler ist für die Medien auch deshalb so faszinierend, weil er mit der mythischen Macht des Geldes ebenso ausgestattet ist, wie er dem nicht minder mythischen Bild des «freien Künstlers» entspricht. Aus einer doppelt mystifizierenden Sicht steht er für denjenigen, der nicht nur selbstbestimmt und kreativ arbeiten, sondern dabei auch noch im Wohlstand leben kann. Zwei gesellschaftliche Normen gehen eine unwiderstehliche Mischung an: So wie Erfolg heute zu den «modernen Pflichten» (Neckel) gehört, nimmt Kreativität die Stellung eines «Heilsworts der Gegenwart» (Bröckling) ein. Der markterfolg­reiche Künstler hat beide gesellschaftlichen Anrufungen perfekt erfüllt-er hat Geld, jenes «allmächtige Wesen» (Marx), dessen magische Fähigkeiten gewöhnlich seinem Besitzer zugesprochen werden.1 Er verkörpert aber auch den Prototyp jenes «kreativen Arbeiters», der heute auf den Arbeits­märkten so gefragt ist.

Die Zeiten, da künstlerische Produktion noch ein Gegen­bild der Arbeit abgab, scheinen unwiderruflich vorbei zu sein. Jedem Mitarbeiter einer Dienstleistungsfirma wird heute schliesslich eingeschärft, dass er eigenverantwortlich agieren, kreativ sein und Initiative zeigen müsse. Der Soziologe Pierre-Michel Menger hat dem entsprechend nachgewiesen, dass die «zentralen Werte der Künstlerkompetenz», etwa ihr (vermeintlich) eigenverantwortliches oder selbstbestimmtes Handeln, längst auf andere Produktionsfelder übertragen worden seien.2 Als Tendenzmeldung ist dies sicherlich zutreffend. Doch selbst wenn im tertiären Sektor das Ideal des kreativen Arbeiters vorherrscht, darf darüber nicht in Vergessenheit geraten, dass es immer noch zahllose ab­hängig Beschäftigte gibt, die ihre Arbeitsituation als ausgesprochen fremdbestimmt, repressiv und reglementiert erleben. Vom deregulierten Alltag des freien Künst­lers, den dieser wohlgemerkt mit maximaler Unsicherheit bezahlt, ist die Realität eines im Billigsektor beschäftigten Ar­beiters immer noch weit entfernt. Ungleichzeitigkeiten auch hier. Der These von Mengers wäre jedoch dahingehend zuzustimmen, dass das Bild des so innovativen wie originellen Künstlers tatsächlich die Blaupause für jenes «unternehme­rische Selbst» (Bröckling) lieferte, das heute in den Krea­tivindustrien und im Dienstleistungssektor zweifellos Konjunktur hat. Ein vormals spezifisch künstlerisches Anfor­derungsprofil konnte zu einem allgemeinen Ideal aufsteigen: Jeder soll möglichst flexibel und kreativ sein und dabei selbstbestimmt arbeiten und eine hohe Mobilitätsbereitschaft an den Tag legen. Je deregulierter die Verhältnisse sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Künstler zum Leitbild avanciert. Steht er doch für den Inbegriff jenes «kreativen Nonkonformisten», der heute jeder sein will.3

Der Aufstieg des Künstlers zum Prototyp des kreativen Arbeiters, wie er exemplarisch mit der Rezeptionsgeschichte von Rubens oder Rembrandt eingeleitet wurde, bildet demnach die Folie für die Generalisierung dieses künstlerischen Selbstverständnisses. Beide Entwicklungen, so viel scheint für den Augenblick festzustehen, bestärken einander wechselseitig und vermögen das gestiegene mediale Interesse am Bild des markterfolgreichen Künstlers zu erklären. Eben weil sich im Profil des Künstlers allseits geforderte Eigenschaften verdichten, orientiert man sich an ihm. Er wird zum Leitbild in dem Moment, da die Kreativitätsideologie spartenübergreifend dominiert. Jeder möchte sich in erster Linie selbst verwirklichen. Der «selbstbestimmt» arbeitende Künstler ist die Norm, an die sich das Ideal des kreativen Arbeiters anlehnt.

Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Forderung nach Selbstbestimmung, wie sie typisch nicht nur für künst­lerische Avantgarden, sondern auch für die sozialen Bewegungen war, inzwischen restlos vom Markt aufgesogen, nutzbar gemacht und folglich neutralisiert wurde? Diesen Umschlag eines emanzipatorischen in ein unternehme­risches Ideal haben Boltanski/Chiapello beschrieben und analysiert. Für sie sind die wesentlichen Emanzipations­forderungen der 1960er-Jahre durch den Kapitalismus vereinnahmt worden.4 Im neuen kapitalistischen Geist hätte sich die Forderung nach Autonomie und Eigenverantwortlichkeit im Sinne eines neuen Anforderungsprofils erfüllt. Aus dieser Sicht wäre der Kapitalismus eine alles kooptierende, perfide Maschinerie, die sich noch die emanzipatorischsten Bestrebungen, wie auch die schrägsten Vögel, restlos einzu­verleiben vermag. Was diese ein wenig schematische Darstellung jedoch übersieht, ist das reaktive Potential des Künstlers. Dieser kann sich der aktuellen Kreativitäts­emphase durchaus entziehen oder das Selbstverwirkli­chungs­paradigma aus den Angeln hebeln. Zudem haben die Emanzipationsbewegungen zu bleibenden Errungenschaften geführt, die nicht gering zu schätzen sind. Ist die Norm des selbstbestimmten, kreativen Arbeitens nicht dem gnaden­losen Takt, den die Stechuhr vorgibt, immer noch vorzu­ziehen? Könnte es nicht sein, dass der neue Geist des Kapitalismus trotz seiner stärkeren Einbeziehung des Menschen in die Profitdynamik besser ist als der alte?
Zwar bedeutet «Eigenverantwortung» in letzter Konsequenz, dass das Individuum analog zum freien Künstler ohne soziale Sicherheiten auskommen muss. Es wird für strukturelle Probleme zur Verantwortung gezogen, die es sich zudem noch selbst zur Last legt. Doch ein Zurück zur Bevormundung durch den Chef und entfremdeten Arbeitsbe­dingungen scheint demgegenüber keine Alternative zu sein.

Als ideale Projektionsfläche bietet sich die Kunstwelt auch deshalb an, weil sie dem Ideal der «reinen Wettbewerbs­gesellschaft» entspricht. Sie scheint dem Traum eines Neo­liberalen entsprungen.

Kaum ein anderes gesellschaftliches Segment zeichnet sich durch eine derart prononcierte Ungleichverteilung aus. In diesem «winners take all» - market ist die Kluft zwischen markterfolgreichen und erfolglosen Künstler/innen extrem ausgeprägt, was einen Vorschein auf jene Konzentration des Reichtums in den Händen der wenigen Superreichen gibt, die augenblicklich gesamtgesellschaftlich zu konsta­tieren ist.5 Nahezu vorbildlich erscheint die Kunstwelt jedoch nicht nur im Hinblick auf die traditionell in ihr stark aus­einanderklaffende Einkommensschere. Auch der neoliberale Ruf nach einem «Abbau des Sozialstaats» sieht seine For­derungen hier verwirklicht. Denn es gibt im Kunstbetrieb offiziell keine sozialen Netze, die den am Markterfolgsim­perativ gescheiterten Künstler auffangen würden, einmal abgesehen vielleicht von der Künstlersozialkasse. Allein informelle Nischenökonomien sorgen dafür, dass die weniger markterfolgreichen Künstler/innen ihr Auskommen als Aufbauhelfer, Techniker, künstlerische Assistent/innen etc. finden. Im Zuge des Kunstbooms ist ein Wachstum dieser Nischenökonomien zu konstatieren, die immer mehr Leute beschäftigen und in Lohn und Brot setzen. Während es hier üblich ist, sich gegenseitig Jobs zuzuschanzen und mitunter solidarisch zu agieren, ist die Luft unter markterfolg­reichen Künstler/innen naturgemäss dünner.

Aus all diesen Gründen zusammengenommen - attraktive Inklusionsmodi, harter Wettbewerb, der Künstler als Prototyp des unternehmerischen Selbst und Inbegriff des krea­tiven Nonkonformisten - ist die Kunstwelt ein gefundenes Fressen zumal für jene erfolgsfixierten Medien - allen voran die deutsche «Vanity Fair» -, die sich programmatisch auf die Seite der «Mover und Shaker» geschlagen haben. Damit sind jene gemeint, die ohne staatliche Unterstützung Risiken eingehen und etwas «bewegen», in erster Linie natürlich die Künstler/innen. Im Mythos des erfolgreichen Künstlers als eines radikal individualisierten Ausnahme­wesens hat die neoliberale Aufforderung, doch bitte selbst Verantwortung für sich zu übernehmen, gleichsam ihr Leitbild gefunden.

Isabelle Graw ist Kunsthistorikerin, Professorin für Kunstgeschichte und Kunst­theorie an der Städelschule Frankfurt und Mitgründerin des Institutes für Kunstkritik. Sie ist Leiterin und Mitgründerin von Texte zur Kunst.

Auszug aus : Der grosse Preis: Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur,
Köln: Dumont Literature und Kunst Verlag; 1. Auflage, 2008

1Vgl. hierzu: Karl Marx/Friedrich Engels, Über Kunst und Literatur, Bd. 1, Berlin 1967, S. 387: «So gross die Kraft des Geldes, so gross ist Deine Kraft.»
2Vgl. hierzu: Pierre-Michel Menger, Kunst und Brot. Die Metamorphosen des Arbeitnehmers, Paris 2002, S. 9.
3Vgl. hierzu: Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt am Main 2007, S. 124.
4Vgl. hierzu: Eve Chiapello/Luc Boltanski, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003, S. 456-483.
5Vgl. hierzu: Stefan Theil, Special Report, in: Newsweek Special Double Issue: Unsinkable Luxury, Mai/Juni 2008, S. 48-52: «Indeed, top-end luxury consumers seem almost invigorated by the rest of the world's economic woes.»


Infos

Type
Artikel
Partner Issue
Share