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Georg Christoph Tholen: Deine Performances und Videos inszenieren und ­reflektieren die Bilderwelten in den Massenmedien Film, Fernsehen und - höchst aktuell - in den global sich ausbreitenden Videogames. Demonstriert und demontiert werden - so mein erster Eindruck zu deinem Gesamtwerk - ­bestimmte Blickregime dieser Bilder- und Datenflut, die eine unbemerkte Macht und Gewalt aufweisen.

Yan Duyvendak: Ja, an den Blickregimen der Medienbilder interessieren mich die Machtspiele und die manipulativen Aspekte der Bilder, wo immer sie auftreten, sei es im Kino, im Fernsehen oder in den Videogames.

Die televisuellen Bilderwelten und Weltbilder sind also der Fokus deiner ­Arbeiten. Interessanterweise sind es deine - unter dem lapidaren Titel «Stills» in den Jahren 2005 bis 2009 entstandenen - Zeichnungen, die mich zu der ­Frage inspiriert haben: Sind die bewegten Bilder, die uns die Bildschirme aller Fernsehsender auf der Welt von der Realität zeigen, statt neutraler oder unschul­diger Dokumentation, nicht eher eine Abschirmung vor der Wirklichkeit? Deine «Stills» wirken wie eine pixelartige Verfremdung und bewusst unscharfe ­Auf­lösung der Macht der Monitorbilder. Kann man sagen, dass diese «Stills» - als eine Art Distanznahme zum Bilderfluss - das sich in all deinen ­Performances durchhaltende Konzept artikulieren?

Du hast zwei Wörter benutzt, die mich grundsätzlich in meiner Arbeit interes­sieren: «Verfremdung» und «Abschirmung». Dabei geht es mir darum, wie man als Mensch mit diesen Verfremdungen und Abschirmungen in der mediatisierten Welt umgehen kann. Ich frage mich, wie man diese Bilder und ihre Mechanismen verfremden und dadurch sichtbar machen kann. Bei allen Medien, die ich benütze, ist dies mein Anliegen, ob es Zeichnungen sind oder Performances oder Videos.

Die Unschärfe der Zeichnungen haben mich in konzeptueller Hinsicht an das avantgardistische Konzept des «postdramatischen» Theaters und an ­neuere Tanzchoreographien erinnert, also an die multimedialen Performances von ­Robert Wilson über William Forsythe, Jan Fabre, Pina Bausch, Forced Entertainement, Gob Squad bis zu Boris Charmatz, René Pollesch und Rimini Protokoll. Es geht in diesen Arbeiten um ein Theater der Fragmentari­sierung und eine postmoderne Ästhetik des Risikos, die die unsichtbare Matrix der Blickregime der Kulturindustrie in Alltagssituationen sichtbar und hörbar ­machen. Wir ­werden in diesen neuen Performancekünsten mit einer Mixtur aus Körper, ­Sprache und bewegten Bildern konfrontiert. Alle drei Elemente ­werden zumeist vielschichtig und konfliktuös zueinander in ­Beziehung gesetzt. In all deinen ­Performances, die mit solch postmoderner ­Ästhetik wahlverwandt sind, fiel mir jedoch ein Moment auf, das mir singulär zu sein scheint. Das Besondere oder die Eigenart deiner Arbeit besteht in ­Folgendem: Dein performierender Körper re-inszeniert die Bilder der Massenkultur, indem er diese ­imaginären Bilder­welten nachahmt, genauer: clownesk und karnevalesk überzeichnet, in gespielter Hysterie gleichsam überdreht und pointiert, und dadurch der Gesellschaft des Spektakels einen Spiegel ­vorhält.

Ich benütze meinen Körper als Katalysator, der zwischen den Bildern und den ­Zuschauern eine bestimmte Regung auslösen soll. Dennoch versuche ich, meinen Körper so neutral wie möglich in die Performance einzubringen. Die Bewegungen mache ich immer nur so, wie sie auch in den Bildern dargestellt sind. Jedoch vollziehe ich die Bewegungen ohne eine traditionell schauspielerisch geprägte Intensität. Vielmehr versuche ich, sie auf eine gewisse Art und Weise «leer» zu gestalten, sozusagen in ihrer reinen Physikalität von Materie und Bewegung. Dadurch tritt meines Erachtens sowohl die Dramatik als auch die Komik und Tragik dieser ­Bilder hervor.

Dein Körper performiert sich also als eine leere Einschreibefläche für Projek­tionen, denen er zugleich widersteht. Er zeigt, wie die Bilder, die sich die ­Bilderindustrie von unseren Körpern macht, nämlich idealisierte und kommer­zialisierte Vorbilder, in uns oder auch nur von uns eingebildet werden: Plastisch gewordene Vorbilder, denen die Selbstbilder gleichsam hinterher­laufen. ­Vielleicht können wir dies an zwei Beispielen deutlich machen. Besonders gut ­gefallen mir in ­dieser Hinsicht nämlich die beiden Performances «You're Dead» und «Self-service» aus dem Jahr 2003. «You're Dead» beginnt mit der Darstellung von Marschbefehlen: «Links - Rechts - Go», welche dein Körper reflexartig ausführt. Wir sehen einen ­soldatischen Körper in seiner idealtypischen Haltung, begleitet von einem ­monotonen ­Selbstgespräch, von beschwörenden Formeln und Gesten des Antiterrorismuskampfes. Das Entscheidende nun in der Performance, die mich an das wichtige Buch «Krieg und Fernsehen» von Paul Virilio erinnert hat, ist die Tatsache, dass erkennbar wird, wie die First-Person- oder Ego-Shooter-Spiele und die ­Videogames eine bestimmte Logistik der Wahrnehmung imitieren, nämlich jene des kriegerischen Sehens, also das Blickregime der Tarnkappenbomber und Satellitenbilder. Und zwar so, dass deren Menschen unmögliche Wahr­nehmungsgeschwindigkeit übersetzt wird in digital montierte und re-inszenierte Videobilder, die schon bei der Kriegsvorbereitung in der Ausbildung von Soldaten verwendet werden, um dann abermals - mit rein unterhaltender Wirkung - die Oberfläche von TV-Bildschirmen und Ego-Shooter-Spielen zu prägen. Man kann sagen, dass deine Performance diese Bilder nachahmt, mit dem winzigen, aber entscheidenden Unterschied, der eine grosse Distanznahme zulässt:
In ­jeder deiner gegenüber den Bildern leicht verzögerten Gesten der Nach­ahmung verdoppelst du nicht einfach die militärischen Bewegungen, sondern ­enttäuschst oder desillusionierst ihren videogenen Aspekt, der sich ja aus dem Phantasma der Allmacht nährt, jederzeit alles wie von selbst gefahrlos durchdringen zu können. Du des­illusionierst dabei den Schein der endlosen Wiederholung, die, immer wieder neu, von Level zu Level, Körper oder Körperteile zerstören und vernichten kann - ein harmloser Automatismus des scheinbar subjektlosen Tötens. Durch deine Performanz erst wird der militärische Blick der Videogames als solcher deutlich. Könnte man sagen, dass diese Nachahmung auch in weiteren Performances ein egozentrisches Amalgam aus narzisstischen und voyeuristischen, panoptischen und militärischen Blickregimen - in uns eingebettet durch die ­zentralperspektivische Tradition - vorführt und ­dadurch dekonstruiert?

«You're Dead» war für uns (d.h. für Nicole Borgeat, die Dramaturgin fast aller ­Arbeiten, für Imanol Atorrasagasti, den Regisseur der älteren Arbeiten, und für mich) eine Studie über die Zentralperspektive und ihren Bezug zur Macht, über die Geschichte des Sehens von Alberti und Brunelleschi, wie sie Foucault in seinen Untersuchungen über diese Blickweisen rekonstruiert hat. Zu wissen, dass die Zentralperspektive erstmals in derselben Zeitspanne zur Theoretisierung kam, in der das «Kapitalisieren» der Bank der Medici seinen Anfang nahm, ist faszinierend. Der Blick wird gleichsam «individualisiert», da die Perspektive von Brunelleschi nur für eine Person möglich ist. Eine Überprüfung der zentralperspektivischen Illusion im Baptisterium von Florenz funktioniert ja nur von einem Standpunkt, nur von einem Augen-Punkt aus. Damit verbunden ist gleichzeitig die «Kapitalisierung» einer einzigen Person, was ja besonders im Filmschaffen von Peter Greenaway thematisch wurde. Bei seinen Studien meint der Maler in «The Draughtsman's Contract», dass er alles sieht (und alles Geld bekommt), während er eigentlich derjenige ist, der nicht hinter sein Werk blicken kann und nicht erkennt, dass er in eine Falle tappt. Die Analyse des Panoptikums in «Überwachen und Strafen» von Michel Foucault bringt die ganze Geschichte dann nochmals einen Schritt weiter. Ausgehend davon sind Videogames und die militärische Benutzung von Perspektivbildern sehr stark miteinander verbunden. Die gefilmten Kriegsbilder haben die Ästhetik der ­Videogames sehr stark beeinflusst - und umgekehrt. Als Anekdote hierzu: Zur Aufzeichnung der Gamebilder für «You're Dead» ging ich in ein Local Area Network Game (LANG). Dabei haben sich 17- bis 18jährige Jungen über eine Woche jede Nacht in ein Lokal eingesperrt, um dort Videospiele zu spielen, vor allem «Counterstrike», das meistgespielte Kriegsspiel der Welt. Es stellte sich heraus, dass sie alle ins Militär wollten und alle behaupteten, schiessen zu können, da sie sich die Erfahrung des Schiessens in der zentralperspektivischen Darstellung der virtuellen Welt bereits angeeignet hätten. Die Grenze zwischen Realität und ­Virtualität war für sie schon längst überschritten.

Kommen wir zur nächsten Performance, mit dem Titel «Self-service». Der ­Zuschauer sieht ein sehr vielschichtiges Geschehen: Eine Videokamera filmt ein an der Wand aufgehängtes Bild eines Hochhauses; das Bild wird auf ­einem Monitor in der Mitte des Raums dem Publikum gezeigt, den Blick ­zentrierend. Dann aber fängt das Bild auf dem Monitor an, sich zu bewegen, und du verfolgst, mit dem Monitor zusammen im Raum, dich selbst mit-­bewegend, die Bewegtbilder: Zwei Körper im Raum und zugleich in weiteren, fernanwesenden Räumen unterwegs. Der Monitor zeigt uns Filmsequenzen von Strassenszenen, das nomadische Umherschweifen auf irgendwelchen ­Strassen. Ein zielloses Umherschweifen, das auch als Umherschweifen in Erinnerungen und Wiedererinnerungen gelesen werden kann. Wir lassen uns treiben von ­diesen «Loops» aus Kontaktsuchen und melancholisch wirkenden Erinnerungen. Zugleich kommentierst du mit ebenfalls sich wiederholenden Sätzen dieses Geschehen. Eine Mischung aus Sprache, Körper und Bewegungsbildern. Durch das Wandern und die Kommentierung distanziert sich unser Blick wie ­automatisch von den beiläufig erzählten Kurzgeschichten, eine prozesshafte Unterbrechung im «Storytelling» also. Könnte man diese sich wieder­holenden Streifzüge als eine Art Passage betrachten?

Diese Passagen sowie das Flanieren stellen in den «Loops» eine Art Wanderung dar, ganz im Sinne Walter Benjamins. Es sind nicht nur selbst gefilmte Strassen­bilder, sondern auch Bilder aus drei verschiedenen Filmen, in denen meistens ­Leute auf der Strasse umherlaufen, die in der Performance gezeigt werden. Die sich wiederholenden gesprochenen Sätze sind «Voice-Overs» aus diesen Filmen. Ich vertausche bewusst die Texte, die zu bestimmten Filmen gehören, sage sie also auf, aber bezogen auf falsche Bildausschnitte. Und ab und zu hört man wiederum den richtigen Text zu den richtigen Bildern, und zwar auf einem danebenstehenden Lautsprecher.
Die Idee dieser Performance war zum einen, die Bedeutungsbeziehung zwischen Bild und Text zu hinterfragen, und zum anderen, durch «Loops» eine Distanzierung hervorzurufen, aber eben eine Distanzierung, die nur funktioniert, weil es in uns selbst gleichzeitig keine Distanzierung gibt, da diese Bilder in uns sind und wir durch diese in uns - in jeder Hinsicht - bewegt werden. An diesem Punkt möchte ich wieder auf Walter Benjamin zurückkommen, der diese Idee, dass man etwas erst zerstören kann, wenn man sich ganz nahe daran befindet, formuliert hat. Wie man auf Französisch sagt: «Contre, tout contre». Und genau dies versuche ich in dieser Arbeit zu zeigen. Man befindet sich die ganze Zeit über in einer Art Schwebezustand zwischen Distanziertheit und Nähe. Man ist distanziert gegenüber den Geschichten; trotzdem nehmen sie dich irgendwie mit, und gerade durch dieses Paradox ­entsteht ein Schwindelgefühl wie in Hitchcock's Film «Vertigo». Meine Arbeit ist nicht nur als medienkritisch zu verstehen. Vielmehr interessiert mich, wie wir mit Medien umgehen, mit ihnen leben, wie sie in uns leben und wie sie uns bewegen. Es handelt sich also um Taumelbewegungen, die mich interessieren. Meiner Meinung nach leben wir in einer Gesellschaft, in der es nichts Nicht-Spektakuläres mehr gibt, da es schon in uns ist. Schade, aber wahr. Du hast eingangs Boris Charmatz erwähnt, der zur Generation von Jérôme Bel gehört, zu welcher ich mich nicht ­zugehörig fühle. Es ist die Geschichte einer anderen Generation, die sich um die Kritik am Spektakulären dreht, wie sie Guy Debord formulierte.

Ich kann der Kritik an der situationistischen Kulturkritik der Generation von Guy Debord insofern zustimmen, als diese Form der Medien- und Konsumkritik in den 1960er Jahren teilweise unterstellt hatte, es gäbe eine Authentizität oder eine Unmittelbarkeit jenseits der Medienindustrie usw. Dennoch gibt es neue Formen der Distanznahme in den Medienkünsten, gerade in deinen ­Performances. Postmoderne Performanz, so könnte man sagen, ist nicht mehr an der utopischen, oder genauer: naiven Vermischung von Kunst und Leben ­orientiert, sondern an der Re-Inszenierung und Re-Flexion medialer Vorbilder und Selbstbilder des Menschen. Die bildgebende Möglichkeit, nach Belieben einrahmen, einschneiden und ausschneiden zu können, vermag ja gerade im digitalen Zeitalter die Vorläufigkeit und Haltlosigkeit der Bilder und Sounds der Massenkultur aufzuzeigen. Mit den neuen Medien wird also das Vermögen und die Macht der Einbildungskraft in den Künsten selbst thematisch. Es geht um die Fragwürdigkeit von Erzählweisen und um die Verschiebung von Blickregimen - dank ihrer Zitierbarkeit im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. So sind deine Arbeiten gewiss eine ironisch-clowneske Distanznahme zu den Bilderwelten, von denen wir sprachen.
Das ist gerade bei deinen Performances, die mit bestimmten narrativen Mythen des Films, näherhin der Hollywoodtradition, spielerisch umgehen, sehr gut zu erkennen. Exemplarisch hierfür erscheinen mir die beiden Performances «You Invited Me, Don't You Remember?» (2002) und «My Name is Neo (for ­fifteen minutes)» aus dem Jahre 2001. Was mir bei der ersten Performance ­besonders gefiel, ist, was wir mit Walter Benjamin die «unsinnliche Ähnlichkeit» oder, allgemeiner, die Kunst der Verstellung und Entstellung in den performa­tiven Künsten nennen können. Mimesis statt Mimikry, lautet hierzu meine These. So zitierst du in der erstgenannten Performance filmische Vorbilder aus den ­Filmen «Les Liaisons dangereuses» und «The Devil's Advocat». Was mir beim ersten Blick auffiel und mich bewegte, war eine besondere Dekonstruktion der filmischen Mythen und Formen des Begehrens, wie sie u.a. in den Filmen von ­David Lynch geübt wird. Ähnlich, so scheint mir, parodierst und entwendest du klas­sische Gesten von filmischen Helden, die das Gute oder das Böse verkörpern, ­stereotype Vorbilder, die sich in unserem Bildgedächtnis verfestigt haben.

«You Invited Me, Don't You Remember?» entstand nach dem 11. September. Wir sahen, wie die Figur des Bösen danach vor allem in den Medien hochgespielt und so selbstverständlich von der Öffentlichkeit - aber auch von mir selbst - akzeptiert wurde, dass wir uns fragen mussten, inwieweit diese Figur bereits in unseren Köpfen verankert ist, dass wir diese Stereotypen einfach so hinnehmen und akzeptieren. ­Anschliessend fragten wir uns, wie viele gute amerikanische Filme wir wohl schon gesehen haben, in denen uns diese Figur vermittelt worden ist. Deshalb auch der ­Titel der Performance: «You Invited Me, Don't You Remember?».

Du agierst in dieser Performance gleichsam wie ein Zirkusclown, mit etwas ­linkisch anmutenden, meist am Widerstand von Dingen und Partnern scheiternden Gesten, die ja eben die hohlen Gesten der Macht- und Rollenspiele ­demontieren. Nachahmungen von Imitationen also, die zum Lachen bringen. Ist dies nicht das clowneske Moment, das in vielen deiner Arbeiten auffällt, hier aber erweitert und modernisiert als performative Dekonstruktion der Illu­sionen und Versprechen der neuen Bildmedien?

Man lacht über einen Clown, wenn er - buchstäblich - aus seiner Rolle fällt. Er zeigt dann seine menschliche Verletzbarkeit unter der Maske. Man lacht, weil man ihn als Mensch erkennt. Und bei meinen Performances ist das wahrscheinlich ­ähnlich. Schliesslich bin ich auch nur ein Mensch. Aber genau dieses Moment ist das Interessante. Bei «My Name is Neo (for fifteen minutes)», in dem ich die letzten 15 Minuten des Films «Matrix» nachstelle, ist dieses Spannungsfeld der springende Punkt der Arbeit. Parallel zum Bild herrscht dort sehr stark dieses Clow­neske vor, da ich die Special Effects nachstellen muss, ohne dass sie mir - als körperliches Vermögen - zur Verfügung stehen. Während «Neo» also im Film gegen die «Matrix» kämpft, kämpfe ich in der Performance gegen das Bild, da es um die Aufmerksamkeit des Publikums geht. Schaut das Publikum mich an oder nur das Bild? Dieser Unterschied manifestiert sich am Ende der Performance dann auch an mir selbst, da ich verschwitzt und erschöpft dastehe, während der Filmheld so fit zu sein scheint wie zu Beginn. Dennoch habe ich diese fünfzehn Minuten überstanden und stehe dort als blosser Mensch bzw. als blosser, bilderloser Körper. ­Dadurch stelle ich den Bildern gegenüber etwas Bilderloses dar, weshalb ich denke, dass an dieser Stelle der katalytische Faktor der Performances und mit ihnen meine humanistische Haltung am deutlichsten wird.

Vielleicht ist der Humanismus, von dem du sprichst, allenfalls ein aufgeklärter, d.h. ein postmoderner. Diese kritische Bemerkung meint: Von einem zeitlosen Wesen des Menschen auszugehen, wie in manchen Diskursen, die sich «humanistisch» nennen, birgt ein Problem. Es ist nämlich eine bestimmte ­Redefigur des Humanismus, die unterstellt, es gäbe den Menschen oder das Menschliche an sich und einfach so, ohne weitere historische Bestimmung oder Relativierung, ein nacktes Menschsein gleichsam, ohne die von uns vorhin so vielfältig beschriebene Macht der Bilder, der Phantasmen und der Illusionen. Im Humanismus ist natürlich auch die bewahrenswerte Idee formuliert worden, die erst als Konzept einer strikt historischen und negativen Anthropologie ­entfaltet werden kann: Der Mensch ist, so schon Nietzsche, kein festgestelltes oder feststellbares, fixierbares «Wesen».
Davon ausgehend kann man die Masken und Rollenspiele, in denen wir ­Menschen uns verstricken oder verlieren, wohlwollend oder kritisch aufzeigen. Was mir eben deshalb an deiner Nachahmung des Films «Matrix» so gut gefiel, war nicht die klassisch-humanistische Gegenüberstellung von Mensch versus Maschine, von Simulation versus «Leben», sondern die nachahmende und zugleich sich distanzierende Simulation heldenhafter Handlungen. Du ­versuchst nämlich in der Performance, so scheint mir, die filmische Figur des Heldenhaften als solche ironisch und clownesk nachzuahmen, was logischerweise scheitern muss. In dem Augenblick bzw. Augen-Blick, in dem die ­Zuschauer lachen, wird für mich die Vergeblichkeit und Vorgeblichkeit dieser Heldenphantasien des Cyberspace deutlich. Es ist also eine digitale Welt der imaginären Heldenkörper, die wir aus den Videogames und insbesondere den Ego-Shooter-Spielen kennen, welche die Performance demontiert.
Was hingegen passiert mit diesem ermüdenden, scheiternden und deshalb sympathischen Körper, der den Zumutungen dieser heldenhaften Vorbilder nicht gerecht werden kann? Der Körper in seinem blossen Da-Sein ­kontrastiert mit der leiblosen, immateriellen Halluzination der Heldenkörper. Hier, in diesem Moment erst, wird die Vorgeblichkeit aller narzisstischen ­Helden-, ­Vater- und sonstigen Figuren der Autorität sichtbar. Dies scheint mir bei dieser Performance besonders gelungen. Du hast vorhin erwähnt, dass sich die ­Zuschauer in gewisser Hinsicht entscheiden müssten, dich zu sehen oder den Filmausschnitt. Was ich in dieser performativen Konstellation zwischen ­Körper und Bild spannend finde, ist der zweifache Blick, die doppelte Aufmerksamkeit, die die Performance vom Zuschauer verlangt, ein bestimmtes Doppelsehen, das den Monozentrismus der klassischen Perspektive unterläuft.

Ja, genau. Um auf die Monoperspektive vom Anfang unseres Gesprächs zurück­zukommen, möchte ich anfügen, dass man in meinen Arbeiten nie ausschliesslich ­einen Blick hat. Die Blickführung wird immer aufgebrochen, ist also dialektisch.

Dialektisch wie im postdramatischen Theater insgesamt, wenn damit das ­ständige Konfligieren verschiedener Ebenen gemeint ist, der sich wieder­holende, unversöhnt bleibende Widerstreit zwischen unterschiedlichen Selbstbildern und Vorbildern. Die Performances verwenden und entwenden hierfür die Vielfalt moderner Bild- und Soundmedien, aufgestellt und in ­distanzierter Geste ­exponiert auf der klassischen Theaterbühne oder in einem Partizipation und ­Interaktion der Zuschauer einbeziehenden Raum wechselnder Grösse. Diese bestimmte Form der Verwendung von Bildmedien im Sinne eines theatralen Körpers neben den realen Körpern macht, wie mir scheint, die Besonderheit auch deiner Performances aus, ähnlich übrigens wie die berühmten Installationen von Mike Kelley oder Gary Hill, denen Letzt­erer nicht von ungefähr den Namen «Performative Images» gegeben hat.

Ich möchte zurückkommen auf das Wiederholen der Performances. Traditions­gemäss, in dogmatischer Hinsicht, macht man eine Performance nie ein zweites Mal, oder jedenfalls nie zweimal gleich. Wenn ich eine Performance wiederhole, ­mache ich sie - grundsätzlich - genau gleich. Meiner Meinung nach macht es Sinn, diese Arbeiten als Maschinerie anzusehen, in die ich jedes Mal wieder neu einsteige, um meinen Körper mit dieser Maschinerie zu konfrontieren. Auch wenn die Unterschiede in diesen sich scheinbar wiederholenden Performances noch so gering sein mögen, dass sie kaum sicht- und spürbar werden, ist es immer wieder ­dieselbe Intention, die mich antreibt. Es geht mir um das, was zwischen mir und den Zuschauern passiert, aber auch um die Kraft der und die Konfrontation mit der Maschinerie. Und das ist jedes Mal unterschiedlich. Dies ist auch der Grund, wieso ich Performances wie zum Bespiel «My Name is Neo» einige Jahre nicht mehr aufgeführt habe, da ich diese Unterschiede nicht mehr erkennen konnte. Ich wurde oder gehörte gleichsam nach und nach zur Maschinerie. Jetzt aber, wo ich eine schlechtere physische Kondition habe, gibt es für mich einen neuen Anreiz, diese Performance aufzuführen, da sie mir nicht mehr so leichtfällt wie damals. In diesem Sinne freue ich mich auch darauf, die Performance zu machen, wenn ich 80 bin, da sich dann diese Konfrontation, dieses Rendez-vous, ganz anders ­abspielen wird.

Vielleicht sind wir jetzt auch an dem Punkt angelangt, an dem wir sagen können, diese in sich differente Wiederholung, die auch ein unbeendbares «Wieder­hervorbringen» ist, zeigt uns ein Rendez-vous mit dem Unmöglichen, nämlich mit der widerständigen Kluft zwischen Körper und Vorbild. Und dieses un­mögliche Rendez-vous ist ja genau das, was uns angeht, also die Dinge, die uns angehen, uns betreffen. In diesem Augenblick, so finde ich, schimmert das ­Moment der Distanz und der Utopie in kleinen, unsagbaren Zwischen­räumen durch, was deine Arbeiten so subtil macht. Ich empfinde deinen Stil der ­Performance als einen konzeptuellen, also bewusst karg und struktural orientierten Stil, eine Form, dank der der Zuschauer seine eigenen Mythen, ­Illusionen und Selbstbilder sofort vor Augen hat. Deine Performance ist also keine belehrende, wohl aber eine ironische, auch satirische.
Vielleicht kann ich das auch an dem Video «Œil pour Œil» von 2002 themati­sieren, ein Experiment einer Videoperformance, das so unheimlich auf den Zuschauer wirkt wie vergleichbare Arbeiten von Tony Oursler. Wir sehen, auf dein Gesicht projiziert, im Dreisekundentakt sich ablösende Gesichter von Nachrichtensprechern, Politikern, Moderatoren, Privatleuten im sogenannten Reality-TV, usw. Natürlich sind diese filmischen Bilder nie deckungsgleich mit deinem Gesicht, das diese anderen Gesichter widerwillig und zugleich ­widerspruchslos aufzunehmen bereit ist: ein unheimliches Doppelgesicht also, das Selbstbild und Vorbild vereint, wie in den bekannten Mischfotografien.
Was ich beim Betrachten dieses Videos wahrgenommen habe, ist ein prekäres Verhältnis von Stimme und Blick: Der Sound der Nachrichtensprachen wird wie leeres Gerede in dieser Clip-Montage hörbar, gerade weil er projiziert wird auf dein Gesicht, das, wie in vielen deiner Performances, eine bestimmte ­Gestalt der Melancholie und der Indifferenz aufweist. Deutlich wird auch eine ­gewisse Gewaltförmigkeit dieser autoritativ wirkenden Nachrichtensprache, ­deren zumeist kommerziell homogenisierter und als solcher auf allen TV-­Kanälen weltweit sich immer ähnlicher werdende Sound unheimlich bzw. ­gespenstisch ist. Wie kamst du auf die Idee, diese Stimmen mit den Gesichter-Montagen zu verknüpfen?

Der Sound und die Bilder, die wir benützt haben, um sie auf mich zu projizieren, sind alle vom 11. September 2002. Es ging mir darum, zu schauen, was genau ein Jahr nach dem 11. September 2001 medial vonstattenging. Das Resultat ist erstaunlich: Nicht viel los, der TV babbelt schon weiter. «Stay home and watch your DVDs». Der 11. September 2001 stellt für mich in medialer Hinsicht einen Bruch dar. «You Invited Me, Don't You Remember?» war bereits eine Reaktion darauf, wie wir vorher schon besprochen haben; «Œil pour Œil» ebenfalls, und «Made in Paradise» ist eine noch intensivere Auseinandersetzung damit, was sich medial und gesellschaftlich verändert hat seit dem 11. September. Für mich hat der mediale Krieg nach diesem Datum spürbar präziser und gewalttätiger eingesetzt als je zuvor.

Könnte man sogar von einer seltsamen Gleichzeitigkeit zwischen den Bildern des Krieges und den Kriegen der Bilder sprechen? Seit 9/11 und seit ­Guantanamo, aber auch sonst in der televisuellen Berichterstattung über ­weltweit verstreute Kriege, werden wir ja auch konfrontiert mit einer spezifischen Gewalt der TV-Blickregimes selber - die wir kaum bemerken, sondern geflissentlich übersehen. Haben dich diese, wenn man so sagen darf, neuen Bildformate stark irritiert?

Ja. Seither musste ich auch die Art und Weise, wie ich mit den Bildern bis dahin umgegangen war, performativ oder in den Videos, ändern. Die Idee der Perfektion und des Scheiterns der Perfektion als Modus Operandi der Arbeit war für mich nicht mehr angesagt, weil diese neue, extreme Aggressivität der medialen Bilder dazu geführt hätte, dass ich ihnen nicht mehr hätte standhalten können. Ich wäre zur selben medialen Maschine geworden.

Und gewiss erfährt hierdurch die vermeintlich unterhaltsame Unschuld der ­Bilderwelten in Film, TV, Internet usw. einen ästhetischen Riss, der durch diesen Krieg der Bilder initiiert wurde und deshalb nach neuen künstlerischen ­Strategien suchen lässt.

Ja, das stimmt. Und meine Antwort darauf ist trotz allem ein Humanismus, wenn auch im Sinne eines postmodernen Humanismus. Und damit möchte ich auf «Made in Paradise» (2008) zu sprechen kommen. Diese Performance ist als Reaktion auf die Darstellung der Muslime in unseren Medien nach dem 11. September entstanden. Meine Frage war: Wie werden wir auf der anderen Seite, in deren Medien, dargestellt? Die erste Idee des Projektes war es, Interviews mit Terroristen in Kairo zu machen, was natürlich total naiv und zum Scheitern verurteilt war. Es war sogar schwierig, mit der Muslimbruderschaft Kontakt aufzunehmen. Ich habe dann aber auch gemerkt, dass es nicht interessant ist, nochmals dieselben Figuren, die medial schon so ausgenutzt und ausgebeutet wurden, zu thematisieren. Viel interessanter erschien es mir, das Zeigen dieser Bruchstellen oder Risse, also des Dialogs bzw. Nichtdialogs zwischen Ost und West, auf die Ebene eines Dialoges zwischen einem Ägypter und mir «herunterzubrechen». Omar Ghayatt und ich sind zwei Künstler, zwei Männer, die gemeinsam unser Treffen thematisieren und verkörpern. Wir sehen in der Arbeit, wie wir beide «bewohnt» sind von der medialen Welt. ­Unsere Dialoge sind also medial ge- und verformt. Das zu zeigen, zu untersuchen, ist sehr spannend, weil es mir meine eigenen Grenzen aufzeigt.

Es geht also nicht nur um eine klassische Kritik am ethnozentrischen, ­westlichen Blickregime, sondern vielmehr um eine Art ethnologische, auch ­ethnopoetische Erkundung von möglichen Dialogen im interkulturellen und interreligiösen Austausch, jenseits der vorurteilsbehafteten und stereo­typen Freund-/Feindbilder, die heutzutage hartnäckiger und gewaltsamer denn je zu sein scheinen und die noch in Huntingtons «Clash of Civilizations» ­gerechtfertigt werden. Die Performance ist ja eine zeitlich sehr ausgedehnte, eine Mischung aus provokativer bzw. partizipativer und ­inszenierter Gruppen­arbeit. Um ein Detail zu erwähnen: Bei den Szenen mit den Gebetsteppichen und dem gastlichen Teetrinken geht es um die ersten, noch zögerlichen ­Momente einer möglichen Gastfreundschaft, die ­zwischen den Kulturen und ­Religionen zu erkunden, zu «ertasten» wäre. Könnte man sagen, dass diese ­ethnographische oder ethnopoetische Reise für dich auch ein Motiv war, ­jenseits der Dekonstruktion der Blickregime, wie wir sie bisher besprochen ­haben, neue Suchbewegungen zu inszenieren.

Allerdings. Ich habe mich, wie eingangs erwähnt, schon so lange mit unseren westlichen Bilder- und Blickgeschichten auseinandergesetzt. Wenn man aber auf jemanden trifft, der aus einer Kultur mit einer ganz anderen Bildtradition kommt und ­dennoch in derselben bildlichen Welt wie wir lebt (also auch von Hollywood usw. geprägt ist), die Dinge jedoch anders sieht, ob auf der Bilderebene, der politischen, religiösen oder spirituellen Ebene, dann ist diese Begegnung für mich spannend und neu. Wie du gesagt hast, ist die Idee der Arbeit nicht so sehr die ­Absicht, dass man etwas über den anderen lernt - es geht nicht um einen ethnologischen Schaukasten -, sondern es geht darum, wie wir versuchen können, über den anderen uns selbst differenziert wahrzunehmen.

Wenden wir uns noch einem weiteren Aspekt der Überwindung des ethno­zentrischen Blickregimes zu, der dich zu interessieren scheint. Da gibt es beispielsweise das Konzept der «dichten Beschreibung» (Clifford Geertz), mit dem die neuen, globalen Formen der «Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen» auch in den massenmedialen Populärkulturen beschrieben werden, etwa die ­Interferenz der Hip-Hop-Kultur in New York mit den Sound-Traditionen in den ­afrikanischen Ländern. Wir haben in diesen transkulturellen Migrationen nicht nur ein Prekärwerden vermeintlich angestammter Traditionen zu vergegen­wärtigen, sondern auch Suchbewegungen eigener Identitätsfindungen im postkolonialen Kontext, die jedoch im westlichen Diskurs kaum oder zu wenig ­beachtet werden. Seltsamerweise gibt es im Kontext der militärisch bzw. fun­damentalistisch codierten westlichen wie islamischen Feindbilder nur an den ­Rändern, und in Opposition zum «Clash of Civilizations», tastende Versuche ­einer vorurteilsfreieren Begegnung, die in westlichen wie islamischen ­Kreisen kaum wahrgenommen und gewürdigt werden.

Ja. Du hast vorher «The Clash of Civilizations» von Samuel Huntington erwähnt, ein für mich sehr problematisches Buch, da es auf diese prekären Dinge nur sehr oberflächlich eingeht. Es verharrt total in dieser überblickenden und daher nicht an den wirklichen Dingen interessierten Perspektive, einer Sichtweise, die den «Westen» als fortschrittlichen Sieger der Geschichte betrachtet. Und deshalb ist «Made in Paradise», was auch Omar Ghayatt unterschreiben würde, keine schlicht postkoloniale Arbeit. Er erkennt sich genauso (oder genauso nicht) in der Performance wieder wie jedermann. Und folgerichtig waren unsere Meinungsunterschiede gerade die Basis für die Performance. Omars spezifischer Blick auf das Projekt erlaubte mir also, mich selbst und meine bisherige Arbeit aus einer ganz anderen Perspektive anzuschauen und zu reflektieren.

Genau dies markiert, wie ich glaube, den Unterschied von Mimikry und Mimesis, um den es in vielen deiner Performances geht.

Oh ja.

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Yan Duyvendak