Yael Bartana und Efrat Shvily — Gefangen in der Geschichte?
Das Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne und das Centre de la photographie in Genf zeigen im Moment zwei Einzelausstellungen israelischer Fotografinnen und Filmerinnen, die sich mit der visuellen Konstruktionen des jüdischen Staates auseinandersetzen.
Lausanne, Genf — Efrat Shvily (*1955) und Yael Bartana (*1970) fragen beide, ob politische Wirklichkeit in Konfliktsituationen fassbar ist, in Situationen, wie sie in dem 1948 gegründeten Land, in dem sie geboren wurden, mit den Palästinensern eskaliert sind. Die zwei Frauen gehen dabei aber gleichsam von konträren Hypothesen aus. Die ursprünglich als Wissenschaftlerin und Journalistin arbeitende Shvily glaubt, dass es möglich ist, forschend und denkend die Realität zu berühren. Die auf direktem beruflichen Weg zur Kunst gekommene Bartana zweifelt daran. Als Ausweg aus Streit und Krieg bietet erstere deshalb Analyse, während die zweitere die alten verfeindenden Geschichten der Nationen und Religionen zu neuen befriedenden Mythen hybridisiert.
So beschäftigt sich Shvily in ihrer Schau im Centre de la photographie mit dem salomonischen erst von Babylon und dann von Rom zerstörten Tempel in Jerusalem. Seine Rekonstruktion würde die Al Aqsa-Moschee aus dem 9. Jh. kosten und ist selbst von Gläubigen stets als Mythos begriffen worden. Shvily legt nun mit Fotografien zu Rekonstruktionen in Jerusalem sowie auch zu Nachbauten aus Stahl und Beton von Freikirchen in Südamerika dar, wie eine solche narrative Zuspitzung auf einen isolierten Gründungsmythos aus politischen Gründen immer stärker gefördert wird. Mit einem Video aus einem Stollen unter dem Tempelberg entlarvt sie das Groteske an der Idee, eine der vielen sich überlagernden Zivilisationsschichten an diesem Ort zu rekonstruieren, als ob hier vorher und nachher nichts geschehen sei.
Die Retrospektive von Bartana im Musée cantonal des Beaux-Arts zeichnet zuerst nach, wie sich die Künstlerin auf das Genre der Dokufiktion zubewegt, für das sie virtuos aus der Geschichte plastischer Kunst wie visueller Kultur schöpft, von der Renaissance-Malerei bis zu TV-Shows. Die im Zentrum stehende Trilogie ‹And Europe Will Be Stunned›, 2007-2011, welche die fiktiven Aktivitäten des Jewish Renaissance Movement in Polen in einer dem Nazi- wie dem zionistischen Propagandafilm entlehnten Formensprache aufrollt, in der aber gewisse Einstellungen auch an die KZ des Dritten Reichs und die Check Points Israels erinnern, ist so irreführend wie horizontöffnend. In den Arbeiten ‹True Finn›, 2014, und in ‹Taklish›, 2017 ist die Aufforderung zu Versöhnung schliesslich so mitreissend wie die hier für nichts mehr anderes wehenden Fahnen und dort die nach einem jüdischen Brauch zur Überwindung von Schocks, Hass und Groll hinter sich geworfenen Gegenstände.