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In ihrer Ausstellung GNOMONS 髀 greifen Jay Chung und Q Takeki Maeda mit ihren für das Kunsthaus Glarus neu erarbeiten Werken einen künstlerischen Ansatz der 1980er- und 1990er-Jahre auf, der vor allem durch Künstler:innen wie Janine Antoni, Felix Gonzalez-Torres und Roni Horn Bekanntheit erlangte. Indem diese Künstler:innen bewusst die Formensprache etablierter, institutionell anerkannter Künstler, die mit dem Minimalismus assoziiert wurden, übernahmen, widersetzten sie sich dem Klischee einer künstlerischen Originalität. Durch Nachahmung «klassisch ‹straighter› ästhetischer Genres» versuchten sie, «die exklusiven Strukturen einer mehrheitlich anerkannten Kunstwelt zu unterwandern, die im Grunde auf ihrem eigenen Ausschluss beruhten».

Für Chung und Maeda setzt sich diese Strategie in der Gegenwart fort, denn innerhalb der vorherrschenden Repräsentationsbedingungen, mit denen Künstler:innen heute konfrontiert sind, stellt sie dennoch weiterhin – wenn auch als Konvention – eine tragende Säule dar. Die Subversivität der Arbeit der Künstler:innen der Achtziger- und Neunzigerjahre hat sich heute in eine dualistische Form kodifiziert, in der die Praxis eines Künstlers/einer Künstlerin gleichzeitig in seiner/ihrer eigenen Subjektposition und einem historisch anerkannten künstlerischen Stil verwurzelt sein solle. Innerhalb dieses Kontextes überspannt GNOMONS 髀 beides und doch keines von beidem, sondern betont stattdessen die Missidentifikation rassistischer Stereotype und die Mehrdeutigkeit von Objekten mit unbestimmtem künstlerischem Wert.

Mit ironischer Anspielung auf die modernistische Suche nach den spirituellen Ursprüngen im Arkanen konzentriert sich GNOMONS 髀 auf einen klassischen Text, von dem man annimmt, dass er zwischen 1000 v. u. Z. und 200 u. Z. verfasst wurde, bekannt als Die Neun Kapitel der Rechenkunst. Dieses frühe chinesische Handbuch der Mathematik besteht aus 246 Textaufgaben aus den Anwendungsgebieten Bautechnik, Landwirtschaft und Handel. In GNOMONS 髀 bilden ausgewählte Problemstellungen aus den Neun Kapiteln die Grundlage für eine Gruppe von miteinander verbundenen Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien.

The Rate of Foxtail Millet for Black Beans etwa veranschaulicht den Wechselkurs zwischen zwei Gütern als Mengenpaarung, während A Field Measuring 94 by 144 Paces ein Feld darstellt, dessen Fläche man berechnen kann, indem man seinen Umfang abgeht. Arrows verwendet Aluminiumstangen, um die relative Geschwindigkeit darzustellen, mit der eine Person einen der drei Teile eines Pfeils, den Schaft, die Spitze oder die Befiederung herstellen kann. Eine andere Serie in der Ausstellung bearbeitet Problematiken von Wechselkursen in Arbeiten auf Papier und zeigt «Wortstapel», die an Robert Smithsons bahnbrechendes Werk von 1966, A Heap of Language, erinnern.

Die Neun Kapitel bieten den Leser:innen einen wenig bekannten Einblick in das chinesische Leben vor zwei Jahrtausenden, zu Beginn unserer Zeitrechnung. Die Welt, die in den Problemstellungen des Buches indirekt beschrieben wird – eine Welt, in der Waren getauscht, gewaltige Erdarbeiten für die Bewässerung durchgeführt und Tausende von Arbeitern für Grossprojekte organisiert werden mussten –, wäre der unseren völlig fremd gewesen. Doch in GNOMONS 髀 übertragen Chung und Maeda durch die Verwendung von alltäglichen Materialien wie Sand, Beton und Stroh sowie durch ihre fotografischen Darstellungen von unspektakulären Motiven im ländlichen Deutschland die Problemstellungen, die in den Neun Kapiteln beschrieben werden, auf die zeitgenössische Realität unseres Alltags. Der scheinbar verrätselte Charakter dieser Arbeiten täuscht darüber hinweg, dass es sich um Visualisierungen einfacher geometrischer Berechnungen, Linien und Winkel sowie elementarer Arithmetik handelt.

Jay Chung und Q Takeki Maeda (geb. in Madison, Wisconsin und Nagoya, Japan) arbeiten seit 2003 kollaborativ zusammen. Ihre Arbeit wurde als eine Auseinandersetzung mit der «Verfasstheit des Post-Konzeptuellen» beschrieben, die sich nicht auf «die Bezeichnung einer bestimmten Art von Kunst, sondern auf die historisch-ontologische Bedingung für die Produktion zeitgenössischer Kunst im Allgemeinen» bezieht. In jüngeren Einzelausstellungen konzentrierten sich Chung und Maeda auf sozial konstruierte, «quasi-institutionelle» Narrative und wie diese sowohl real als auch imaginär in der Produktion, dem Konsum und dem Vertrieb von Kunst eingesetzt werden. Hierzu zählen: The Auratic Narrative, Kölnischer Kunstverein, Köln, New Images, House of Gaga, Mexico City und Dull and Bathos, Galerie Francesca Pia, Zürich. Ihre Werke wurden zudem bei Maxwell Graham/Essex Street, New York, statements, Tokyo, 356 Mission, Los Angeles und in Gruppenausstellungen in Galerien und Museen gezeigt.

 

Eröffnung Jay Chung & Q Takeki Maeda, John Miller und Sammlung: Paul Fröhlich

Samstag, 13.07.2024, 18.00 Uhr

18.30 Uhr Kinderführung während der Ansprache
20.30 Uhr Konzert von Dirty Mirrors (John Miller & Aura Rosenberg)

 

 

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