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der neunte jahrgang der prix meret oppenheim hebt vier Künstlerinnen, einen Künstler und einen Architekten auf das Podest. Beginnen wir mit den Künstlerinnen und dem Künstler: Ursula Biemann, Ingrid Wildi Merino, Muda Mathis und Sus Zwick verbindet die Tatsache, dass sie seit langem intensiv in und mit der Kunstform des Videos arbeiten, und auch Christian Marclay setzt hier inzwischen einen Schwerpunkt. Nicht dass es die explizite Absicht der Eidgenössischen Kunstkommission gewesen wäre, mit den Preisen 2009 einmal die Videokunst ins Zentrum zu rücken; die Diskussionen der Jury drehten sich um Persönlichkeiten im aktuellen Kunstbetrieb, nicht um Fragen der Technik oder des Mediums. Und trotzdem kann es wohl nicht nur Zufall sein, dass nach Jahren ohne Videokunst erstmals gleich mehrere Preisträgerinnen hier ein Standbein besitzen. Die vier Interviews mit ihnen geben somit unter anderem einen Einblick in aktuelle Ansätze und Entwicklungen der Videokunst. Dabei zeigt sich erwartungs-gemäss, dass auch in diesem Bereich die Botschaft keineswegs im Medium aufgeht, sondern dass die Videoarbeiten heute den unterschiedlichen Intentionen entsprechend an den unterschiedlichsten Orten stehen.
ursula biemann beschäftigt sich als Künstlerin, Theoretikerin und Kuratorin seit vielen Jahren intensiv mit den territorialen und sozialen Verwerfungen,
die in der Folge der Globalisierung entstanden sind. Sie spürt den migrierenden Waren- und Menschenströmen in ihren geopolitischen Ursachen, in den mikrogeographischen Strukturen und den existenziellen Folgen für die Einzelnen nach. Ihre Projekte entstehen aus der Zusammenarbeit mit den Betroffenen, mit Kulturtheoretikerinnen, Anthropologen, NGO-Verantwortlichen, Architektinnen u.a. sowie in gross angelegten kollaborativen Projekten mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. Unter der Regie von Ursula Biemann verbinden sich vielfältige Perspektiven zu einem Panorama, das letztlich immer
die Nähe zu den Betroffenen sucht.
Im Fokus auf das Dokumentarische und im politischen Impetus nicht weit von Ursula Biemanns Haltung entfernt hat ihre ehemalige Schülerin ingrid wildi merino eine international beachtete Arbeit entwickelt. 1963 in Santiago de Chile ge-boren und 1981 in die Schweiz emigriert, basiert ihre Beschäftigung mit den Symptomen einer globalen Migration, mit Fragen der Identität oder des kulturellen Rollenverständnisses auf der besonderen Sensibilität der eigenen transkulturellen Biographie. So zeigen Ingrid Wildi Merinos dokumentarische Arbeiten eine Befragungs- und Schnitttechnik, die uns die einzelnen Menschen ungewöhnlich nahe bringt, ohne ihnen zu nahe zu treten. Ihre Kamera gewährt den Individuen den Raum und manchmal sogar die Anonymität, die sie benötigen, und sie lässt ihnen die Deutungsmacht über die eigene Geschichte. So entstehen immanent politische Dokumente, die eine Aufmerksamkeit jenseits von Sozialvoyeurismus und Unterhaltsamkeit erzeugen.
muda mathis und sus zwick produzieren ihre Videos im unmittelbaren Zusammenspiel mit ihren weiteren Aktivitäten: den multimedialen Installationen, den Performances, den Fotografien und der Musik. In bildhaft pointierter Form und mit grosser Stilsicherheit ausgestattet navigiert das Duo seine performativen Auftritte durch ein Kaleidoskop aus kühnen Stilwechseln über ein Spielfeld, auf dem sie ihre multiplen Rollen thematisieren, stilisieren und zugleich ironisieren. Namentlich über ihre fulminanten Konzerte mit der Band ‚Les Reines Prochaines‘ haben sich die Künstlerinnen inzwischen ein breites Publikum erschlossen. Gleichzeitig gibt ihr heiter-ironischer Umgang mit dem Rollenspiel einer jüngeren Generation von Künstlerinnen und Künstlern neue Modelle vor für ein gleichermassen künstlerisches wie gesellschaftliches Agieren.
Auch christian marclay verbindet seit vielen Jahren Musik mit bildender Kunst. Er betätigt sich abwechslungsweise als Performer, Bildhauer, Fotograf und Videokünstler, aber auch als Musiker, Komponist und DJ. Geboren 1955 in San
Rafael, Kalifornien, verbrachte Christian Marclay seine Jugend in Genf, studierte zwei Jahre an der Genfer Hochschule für visuelle Kunst und wechselte Ende der 1970er Jahre nach Boston und New York. Zur gleichen Zeit spielte er zusammen mit dem Gitarristen Kurt Henry in der Gruppe ‚The Bachelors, even‘ und etablierte sich durch seine Performances mit Platten und Plattenspielern als einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Seither entwickelt er parallel und immer in Verbindung mit der Welt der Musik sein plastisches Werk, die Fotografien und die Videoarbeit. Spielerisch und lärmend in den Performances, leise in den Installationen: Christian Marclay steht mit seinen Projekten seit Jahren im Zentrum einer Diskussion um die Stellung des Objektes, seine Verbindung zum anderen und zur Gesellschaft.
Der fünfte Prix Meret Oppenheim schliesslich geht an einen Grossen der aktuellen Architektur, an roger diener. Roger Diener steht für eine Fokussierung auf die urbane Architektur in allen Massstäben, vom privaten Wohnhaus über den öffentlichen Grossbau bis hin zum städtischen Masterplan. Ausgangspunkt seiner Projekte ist die genaue Analyse des Ortes als geschichtlichem Artefakt, das aus komplexen ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen entstanden ist. Diese Strukturen werden im Büro Diener&Diener gelesen und mittels präziser Setzungen weitergeschrieben. Die architektonische Sprache von Roger Diener ist heute eine Referenz für viele jüngere Architektinnen und Architekten. Sie steht für Zurückhaltung und formale Beschränkung, für eine fast schon klassische Präzision und Eleganz.

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